Die ehemals selbständige Gemeinde Broughton liegt etwa zwei km nördlich vom Stadtzentrum Manchesters entfernt und ist heute ein Ortsteil der City of Salford. Im frühen 19. Jahrhundert gehörte der Großraum Manchester zu den prosperierenden Regionen Großbritanniens, in denen die "Industrielle Revolution" ihren Anfang nahm.
Der 1761 eröffnete Bridgewater-Kanal Der Kanal ist nach seinem Auftraggeber benannt: Francis Egerton, 3. Duke of Bridgewater. versorgte Manchester mit Rohstoffen, vor allem natürlich mit Kohle. Die zahlreichen Webstühle der Textilindustrie und andere Dampfmaschinen verlangten nach immer größeren Mengen an Brennstoffen. Gleichzeitig verband der Kanal die Stadt aber auch mit dem Hafen in Liverpool, sodass er auch den Transport der hergestellten Waren sicherte. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts war Manchester das bedeutendste Wirtschaftszentrum der Welt, in dem allerdings auch schon bald die sozialen Schattenseiten des sprichwörtlichen "Manchester-Kapitalismus" spürbar wurden.
Vorläufig sorgte die explosionsartige Entwicklung Manchesters aber auch im weiteren Umfeld der Stadt für neue Arbeitsplätze und einen stetigen Zustrom von Arbeitskräften mit ihren Familien. Dieser Boom erforderte erhebliche Investitionen in die Infrastruktur, vor allem auch in die Verkehrswege. Für Manchester blieb der Bridgewater-Kanal für lange Zeit das wichtigste Teilstück des Verkehrsnetzes. Weil er in der Nähe von Broughton den Fluss Irwell kreuzen musste, baute James Brindley 1761 das Barton-Aquädukt, das damals als bautechnische Sensation empfunden wurde.
Nur ein kurzes Stück vor dem Barton-Aquädukt durchfließt der Irwell auch das damals noch selbständige Kleinstädtchen Broughton. Etwa 1825 entschloss sich John Fitzgerald, der reiche Besitzer des Schlösschens "Irwell House", auf seine eigenen Kosten eine Brücke über den Irwell zu bauen. Solche Privatinitiativen waren in Großbritannien damals nicht unüblich, können aber nicht unbedingt als Spende an das Gemeinwohl angesehen werden. Jeder Benutzer der Brücke hatte dafür eine Gebühr zu entrichten, sodass Fitzgerald das ganze Projekt wohl eher als eine Art Investition betrachtete.
Es liegt vermutlich am privaten Charakter des Unternehmens, dass heute keine Akten mehr über den Brückenbau auffindbar sind und weder vom Bauvorgang selbst, noch vom ursprünglichen Aussehen der Brücke Details bekannt sind. Es scheint auch nur eine einzige grafische Darstellung der Brücke zu geben, ein Foto, das schon aus ihrem höheren Lebensalter stammt. Selbst der Name des ausführenden Ingenieurs ist bis heute umstritten und wird es vermutlich auch immer bleiben.
Das Barton Canal Aqueduct am Bridgewater Kanal (1757). Unten der Irwell River.
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Da Mr. Fitzgerald offenbar die Absicht hatte mit der Brücke Geld zu verdienen, musste sie zunächst einmal möglichst billig gebaut werden und da boten sich zu dieser Zeit vor allem Hängebrücken an. Vielleicht ist Fitzgerald auch erst auf die Idee mit der Brücke gekommen, nachdem er in den Zeitungen von den ersten in Großbritannien errichteten Hängebrücken gelesen hatte, deren augenfälligste Eigenschaft ihr konkurrenzloser Herstellungspreis war.
In historischen Quellen wird als Erbauer der Brücke entweder Thomas Cheek Hewes angegeben, ein Maschinenfabrikant aus Manchester, oder Captain Samuel Brown. Während Hewes ansonsten offenbar niemals als Brückenbauer in Erscheinung getreten ist, ist Samuel Brown zu den allerersten Pionieren des Hängebrückenbaues zu rechnen. Sein Name ist insbesondere mit der legendären, und heute noch bestehenden Union Bridge verbunden, der ersten Hängebrücke Europas, die auch für schwere Verkehrsarten geeignet war.
Wann genau mit den Bauarbeiten begonnen wurde, welcher Unternehmer sie ausgeführt hat und welche Hütte das Eisen lieferte, ist unbekannt. Durch ihre eher regionale Bedeutung dürfte sich der Bau aus dem Blickwinkel der britischen Öffentlichkeit aber eher im Schatten anderer Projekte vollzogen haben. Insbesondere die Menai-Strait-Bridge, die Thomas Telford 1825 vollendet hatte dürfte die größte Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben, denn sie war damals die größte Brücke der Welt.
Die Breite des Irwell verlangte eine Spannweite von mindestens 144 Fuß, also etwa 44 Metern. Die Brücke sollte alles an Lasten tragen können, was damals auf den Straßen unterwegs war, also auch schwer beladene Fuhrwerke, Militärkolonnen, usw. Die Konstruktion der Ketten und der Kettenverbindungen erinnert tatsächlich etwas an die Union Bridge, sodass Brown als Baumeister durchaus denkbar ist. Allerdings gab es schon damals einen regen Austausch unter den Fachleuten, auch über die Grenzen Großbritanniens hinaus.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen der Brücke in Broughton und der Union Bridge waren die vier Pylonen, die nicht aus Mauerwerk bestanden, sondern aus gusseisernen, obeliskförmigen Säulen. Die anderen Eisenteile der Brücke bestanden aus zähem Schmiedeeisen, welches im Unterschied zum Gusseisen auch Zugkräfte aufnehmen kann. Die beiden Hauptketten bestanden aus jeweils zwei parallelen Eisenstäben mit zwei Inch Durchmesser (etwa 5 cm). Die Enden der Stäbe wurden zu sogenannten "Augen" geschmiedet, damit man sie mit zusätzlichen Lagerplatten und zwei starken Bolzen miteinander verbinden konnte (siehe Skizze).
Die unterschiedlichen Verbindungssysteme zwischen den einzelnen Kettenpaaren (oben) und dem letzten Kettenglied mit der Verankerungsplatte (unten). Die Bolzen hatten jeweils den gleichen Durchmesser. © The Philosphical Magazine |
Von dieser recht soliden Verbindungsart wich der unbekannte Baumeister aber ausgerechnet bei der Rückverankerung der Ketten ab. Da auf beiden Uferseiten kein natürlicher Felsen anstand, mussten die Ketten durch einen massiven Steinsockel verankert werden. Zu diesem Zweck wurden die Ketten auf beiden Uferseiten hinter den Pylonen mehrere Meter unter das Geländeniveau geführt und dort mit einer großen tellerförmigen Scheibe aus Gusseisen verbunden. Auf dieser Scheibe schichtete man anschließend das Mauerwerk auf, damit es sich im Betrieb der Brücke mit seiner ganzen Masse den Zugkräften aus den Ketten entgegenstemmen konnte.
Die Verbindung zwischen dem letzten Kettenpaar und der Gusseisenplatte erfolgte durch einen etwa 9 cm breiten Eisenstreifen, der auf der einen Seite rund gebogen wurde und dann zwischen den beiden Kettengliedern mit nur einem Bolzen gesichert wurde (siehe Skizze unten). Auf der anderen Seite war der Eisenstreifen auf ähnliche Weise mit der Gusseisenplatte verbunden. Da beim späteren Einsturz der Brücke dieser Bolzen gebrochen war, gaben die Fachleute der mangelhaften Stärke der Rückverankerung eine Mitschuld an dem Unglück.
Die Broughton Bridge wurde 1826 vollendet und für jede Art von Verkehr freigegeben. Da die Benutzung mautpflichtig Jede Person hatte pro Benutzung einen Penny zu bezahlen plus einem Aufschlag für Pferde und Fuhrwerke war, muss es einen sogenannten "Brückenschreiber" gegeben haben, zu dessen Aufgaben es neben dem Vereinnahmen der Gebühr auch gehörte, für Ordnung und Sicherheit auf der Brücke zu sorgen. Man war sich der Risiken von Hängebrücken durchaus im Klaren und versuchte Überlastungen durch eine entsprechende ''Brückenordnung" zu verhindern. Da es in Manchester und Umgebung mehrere Kasernen gab, war auch die Benutzung durch Soldaten an der Tagesordnung. Dazu gehörten nicht nur größere Marschkolonnen, sondern auch Kavallerie mit schwerer Ausrüstung, wie z.B. Kanonen.
Die ersten fünf Jahre ihre Betriebes versah die Brücke ihren Dienst, ohne dass ungewöhnliche Probleme bekannt geworden wären.
Am Morgen des 12. April 1831 hielt eine Abteilung des in Broughton stationierten 60. Schützenregiments ein Manöver im nahegelegenen Kersallmoor ab. Um pünktlich zum Mittagessen in der Kaserne zurück zu sein, traf man etwa um 12 Uhr am Irwell ein. Das ganze Regiment bestand aus mehreren Abteilungen, die aber mehrheitlich eine Alternativroute nahmen und dabei auch eine andere Brücke passierten. Nur eine Abteilung, die in einer anderen Kaserne untergebracht war, nahm den Weg über die Kettenbrücke. Zufälligerweise wurde dieser Zug gerade von Leutnant P.S. Fitzgerald kommandiert, einem Sohn des Brückenbesitzers.
Sir (Captain) Samuel Brown
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Die Abteilung bestand inklusive Offizieren aus 74 Soldaten, die nun in Viererreihen über die Brücke marschierten. Dies geschah jedoch keinesfalls im befohlenen Gleichschritt, sondern, wie man in Deutschland sagt: "ohne Tritt". Das Marschieren im Gleichschritt ist wesentlich anstrengender und verlangt sowohl von den Kommandierenden, als auch von der Truppe, hohe Konzentration. Insofern ist es üblich, auf längeren Strecken die bequemere Fortbewegungsart zu wählen. Dabei gehen die Soldaten zwar nicht im Gleichschritt, aber sehr wohl in einer geordneten Formation, also zum Beispiel in Viererreihen.
Als die Spitze des Zuges die Brücke erreichte, vielleicht aber auch schon vorher, scheint einer der Soldaten damit begonnen zu haben ein bekanntes Marschlied zu pfeifen, in das viele andere einstimmten. Danach habe sich unbewusst, dem Rhythmus der Melodie entsprechend, erst nur bei einigen, dann bei immer mehr Soldaten, von selbst eine gleichmäßige Schrittfolge eingestellt, bis sich der ganze Zug im Gleichschritt befand. Die meisten Soldaten bemerkten nun, dass sich der gleichmäßige Schritt auf die Brücke übertrug und ein deutliches Vibrieren in dem Träger spürbar war. Da dieses jedoch zum Takt des Liedes passte, wurde es keineswegs als unangenehm empfunden. Einige scheinen sogar durch bewusst festes Auftreten versucht zu haben, den Effekt noch zu verstärken.
Als etwa 60 Soldaten auf der Brücke waren und die Spitze der Kolonne mit Leutnant Fitzgerald die andere Seite fast erreicht hatte, war plötzlich ein lauter Knall zu hören. Viele der Soldaten sagten später übereinstimmend, es habe sich angehört wie die Fehlzündung eines Gewehres. Im gleichen Augenblick gab eine der beiden Tragketten nach und der eiserne Pylon In Marschrichtung gesehen handelte es sich dabei um den Pylon hinten rechts. stürzte in den Fluss. Da der Träger jetzt nur noch an drei Punkten aufgehängt war, geriet er sofort in gewaltige Schräglage, sodass ein großer Teil der Kompanie fünf Meter tief in den Irwell stürzte. Zunächst entstand natürlich ein großes Durcheinander, aber die unverletzten Soldaten gewannen sehr rasch wieder den Überblick und leiteten umgehend Rettungsmaßnahmen für ihre Kameraden ein.
Wie sich erst später zeigen sollte, waren bei dem Unglück erfreulicherweise keine Toten zu beklagen aber einige hatten durch die herabstürzenden Ketten schwerste Verletzungen davon getragen. Um die besonders stark Betroffenen in die Kasernen zu transportieren, holte man einige Schubkarren herbei, während andere bereits erste Hilfe leisteten.
Da in Großbritannien bis 1831 schon eine größere Zahl von Hängebrücken in Betrieb war, wurde der Vorfall als äußerst besorgniserregend, ja sogar alarmierend, eingestuft. Die übereinstimmenden Aussagen der Soldaten ließen vermuten, dass es sich hier um ein bisher unbekanntes Phänomen handelt, welches durchaus auch andere Hängebrücken betreffen könnte. Entsprechend sorgfältig ging man daran, die Ursachen des Unglücks zu untersuchen. Einer der hinzugezogenen Fachleute war Eaton Hodgkinson, Etwa 20 Jahre später leistete Hodkinson wichtige Grundlagenarbeit bei den Vorbereitungen zum Bau der Britannia Brücke in Wales. ein Mathematiker und Physiker aus Cheshire, der sich schon sehr frühzeitig mit statischen und materialspezifischen Problemen des Brückenbaus beschäftigte.
Warntafel an der Albert Bridge in London © Bernd Nebel |
Das Phänomen der schädlichen Resonanzen, die eine von außen angeregte Kraft auf ein Bauwerk haben kann, war bis dahin völlig unbekannt, zumindest aber in diesem speziellen Zusammenhang. Die exakten wissenschaftlichen Hintergründe, also das Zusammentreffen der Marschgeschwindigkeit mit der Eigenfrequenz (Resonanz) des Bauwerkes, wurde erst viele Jahre später überzeugend erklärt. Dennoch zogen die Experten die richtigen Schlüsse aus den Augenzeugenberichten der Soldaten und erkannten die schädliche Wirkung der Schwingungen, die durch das gleichmäßige Marschieren erzeugt werden. Allerdings war man sich auch sehr schnell darüber einig, dass die Vibrationen zwar ursächlich für den plötzlichen Einsturz waren, es jedoch mindestens noch einen weiteren Faktor gegeben haben musste, der zum Versagen der Ketten beitrug.
Die Brücke hatte jahrelang ihren Dienst verrichtet und schon viele Male ähnliche und noch größere Belastungen getragen, als sie nun zum Einsturz geführt hatte. Erst wenige Tage zuvor war eine große Abteilung Kavallerie mit Pferden und Kanonen über die Brücke gezogen, ohne dass sich irgendwelche Probleme gezeigt hätten. Nachdem man die zerbrochenen Eisenteile unter dem Ankerblock freigelegt hatte, entdeckte Hodgkinson schließlich den konstruktiven Fehler. Dieser bestand, wie oben schon beschrieben, in der zu schwachen Verbindung zwischen dem letzten Kettenglied und der gusseisernen Platte unter der Verankerung.
Man musste erkennen, dass die Binsenweisheit "eine Kette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied" eben doch richtig ist. Und der schwächste Teil der Kette war die Verbindung mit einem einzigen Bolzen, wo ansonsten grundsätzlich zwei angeordnet waren.
Wie immer bei Brückeneinstürzen, und obwohl es sich eigentlich um eine Privatbrücke handelte, wurden die Ursachen des Unglücks sorgfältig untersucht und entsprechende Maßnahmen angeordnet. Eine davon war tatsächlich, allen Militärformationen in Großbritannien ab diesem Zeitpunkt auf den Hängebrücken nicht nur das Marschieren im Gleichschritt zu untersagen, sondern außerdem auch das Singen und Pfeifen. Ähnliche Vorschriften wurden auch im Ausland übernommen und meistens auf beiden Seiten der Brücke durch Schilder bekannt gemacht. An der Albert Bridge in London ist noch heute ein solches Schild angebracht.
Da man nun die Unverzeihlichkeit von Material- oder Konstruktionsfehlern bei Hängebrücken erkannt hatte, wurden von da an auch beim Bau von Privatbrücken strenge Materialtests gefordert. Bei jedem einzelnen Kettenglied sollte vor seinem Einbau die erforderliche Zugfestigkeit überprüft werden. Dabei scheint Hodgkinson große Mühe gehabt zu haben, die weit verbreitete Ansicht zu entkräften, derartig harte Proben würden das Material schon vor seiner eigentlichen Verwendung unnötig schwächen.
Und noch eine weitere Notwendigkeit wurde erkannt: die regelmäßige Wartung und Überprüfung der Brücken, wobei besonderes Augenmerk auf die statisch stark beanspruchten Bauteile zu legen war. Bei Hängebrücken sind dies zum Beispiel die Ankerkammern, die zuvor häufig in einer Weise ausgebildet waren, die es unmöglich machte an die Verankerung heranzukommen, ohne das gesamte Mauerwerk abtragen zu müssen.
In Broughton wurden die beschädigten Bauteile der Brücke ausgetauscht, anschließend die gesamte Brücke noch einmal eingehend überprüft und schließlich wieder dem Verkehr übergeben. Es ist nicht ganz klar, ob dabei der abgestürzte Eisenpylon wiederverwendet oder komplett erneuert wurde. Der verantwortliche Ingenieur für die Sanierung und Freigabe der Brücke war vermutlich Robert Sephenson. Alle mir zur Verfügung stehenden Quellen sprechen nur von einem (berühmten) Ingenieur namens Stephenson. Wie es so häufig bei Vater und Sohn Stephenson (George und Robert) der Fall war, ist eine genaue Zuordnung schwierig. Da Robert Stephenson aber eindeutig über die bessere theoretische Ausbildung verfügte, scheint es mir naheliegend, dass er mit dieser verantwortungsvollen Aufgabe betraut wurde.
Obwohl die wissenschaftliche Erklärung des Phänomens noch viele Jahre auf sich warten ließ, war nun allgemein bekannt, dass sich die durch den Gleichschritt erzeugten Vibrationen zerstörerisch auf das Tragwerk einer Hängebrücke auswirken können. Man sollte daher meinen, dass sich ein solches Unglück von da an nicht mehr wiederholen konnte. Leider ist es aber nicht ganz so, denn es gibt einige Beispiele für ähnliche Fälle, die aber jedes für sich besondere Umstände aufweisen.
Schon fünf Jahre vor der Broughtonbrücke stürzte in Nienburg an der Saale die erste Schrägseilbrücke der Welt bei einer Art Volksfest ein. Hierbei handelte es sich also nicht um eine klassische Hängebrücke, aber um eine von Ketten getragene Konstruktion, mit ähnlichen Eigenschaften wie eine Hängebrücke. Der Einsturz erfolgte unter einer großen Menschenmenge, die sich zum Zeitpunkt des Einsturzes auf dem Brückenträger aufhielt. Besonders ungünstig wirkte sich dabei die ungleichmäßige Verteilung der Menschen auf dem Träger aus, die nur etwa ein Viertel der Brücke betraf. Da sich auf der Brücke auch eine Musikkapelle befand und bekannte Lieder spielte, scheint es nicht ausgeschlossen, dass sich die Menschen in einem gemeinsamen Takt bewegten und dadurch Schwingungen erzeugten, die zum Einsturz der Brücke beitrugen. Belegt ist hingegen, dass einige Jugendliche auf den Brückengeländern saßen oder standen und versuchten, die ganze Brücke in schaukelnde Bewegungen zu versetzen. Bei dem Unglück kamen 55 Menschen ums Leben und viele weitere wurden verletzt.
Mehr über die Nienburger Saalebrücke
Der Einsturz der Kettenbrücke in Mährisch-Ostrau am 15. September 1886
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Die Kettenbrücke in Mährisch-Ostrau führte über die Ostrava, die an dieser Stelle die Grenze zwischen Österreich (Mähren) und Polen markierte. Sie wurde 1850 unter Österreichischer Regierung errichtet (heute heißt der Ort Ostrava und gehört zu Tschechien). Die Kettenbrücke mit zwei massiven, portalartigen Pylonen hatte eine Spannweite von 66 m. Am 15. September 1886 stürzte sie während des normalen Betriebes unvermittelt ein. Dabei kamen sechs Menschen ums Leben und einige wurden schwer verletzt. Zum Zeitpunkt des Unglücks befanden sich etwa 30 Personen auf der Brücke, darunter eine Abteilung eines Kavallerieregiments mit 16 Pferden. Außerdem war noch ein voll beladener Kohlewagen und ein leeres Fuhrwerk auf der Brücke. Da die Brücke kurz zuvor ein noch wesentlich größeres Gewicht getragen hatte, ging man davon aus, dass der gleichmäßige Schritt der Pferde zu dem Unglück beigetragen haben musste. Die genaueren Untersuchungen ergaben allerdings, dass die gebrochenen Verankerungsketten erheblich korrodiert waren. Vom ursprünglichen Eisenquerschnitt (158 cm²) waren nur noch 25 cm² übrig. Dies war nur bei den zerstörten Rückhalteketten der Fall, die drei anderen Verankerungspunkte waren weit weniger vom Rost befallen. Die Gründe dafür konnten später festgestellt werden. Da die Verankerungsketten relativ gut zugänglich waren, wurde die mangelhafte Wartung durch die verantwortlichen Behörden als Hauptgrund für das Unglück ausfindig gemacht.
Wie die Broughton Suspension Bridge, stürzte auch die Hängebrücke in Angers unter einer marschierenden Militärformation ein. Allerdings geschah dies erst 1850, sodass die Wirkung des Gleichschritts schon seit langer Zeit bekannt war. Es wurde daher auch keineswegs im Gleichschritt marschiert, sondern ausdrücklich 'ohne Tritt'. Gerade als die Soldaten die Brücke betraten, setzte starker Wind ein, zu dem auch noch ein heftiger Regenschauer kam. Die Folge davon war, dass die Soldaten ihren Schritt beschleunigten und die hinteren Reihen nicht mehr den Abstand zu ihren Vorderleuten einhielten, der eigentlich befohlen war. Schließlich waren viel mehr Soldaten auf der Brücke, als es eigentlich sein durften und durch das schnelle Gehen wurde die Brücke in eine leicht schaukelnde Bewegung versetzt. Das wiederum führte dazu, dass sich die Soldaten - wie Seeleute auf einem Schiff - dieser leichten Bewegung entgegenstemmten um nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten, dadurch aber das Schlingern der Brücke nur noch verstärkten. Bei dem folgenden Einsturz der Brücke kamen 223 Menschen ums Leben und viele weitere wurden teilweise erheblich verletzt. Die Untersuchung ergab, dass es außer den Resonanzen noch weitere Gründe für das Unglück gegeben hatte. Die nicht zugänglichen Ankerkammern wurden bei Hochwasser regelmäßig überflutet, sodass die Verankerungsketten ständig einem mehr oder weniger feuchten Milieu ausgesetzt waren. Das verwendete Eisenmaterial war keineswegs rostfrei, sodass die Rückhalteketten in den Ankerkammern über 10 Jahre nach dem Bau der Brücke nur noch über einen Bruchteil ihres ursprünglichen Querschnitts verfügten.
Mehr über die Pont de la Basse Chaine
Auch die Tacoma Narrows Bridge stürzte infolge von Resonanzen ein, die jedoch nicht durch Menschen verursacht wurden, sondern durch einen relativ leichten, aber konstant angreifenden Seitenwind. Die Tacoma Narrows Bridge war nach ihrem Bau eine der größten Hängebrücken der Welt. Ihr Fahrbahnträger hatte im Verhältnis zu seiner Länge eine sehr geringe Breite und Höhe, war also sehr schlank. Allerdings waren auch schon andere Brücken mit einem solch schlanken Träger gebaut worden, ohne das es zu derartigen Problemen gekommen wäre. Die Windanfälligkeit der Tacoma Narrows Bridge war schon seit einigen Monaten bekannt, als das Unglück im September 1940 seinen Lauf nahm. Der über den Meeresarm streichende Wind versetzte den unversteiften Fahrbahnträger in leichte Schwingungen, die jedoch immer größer wurden, bis er schließlich brach und in das Wasser stürzte. Da die Katastrophe keineswegs plötzlich geschah, sondern sich langsam aufschaukelte, war im Moment des Einsturzes niemand mehr auf der Brücke, sodass keine Verletzten zu beklagen waren. Das sich heftig verformende Tragwerk hatte bereits eine so große Berühmtheit erlangt, dass zufällig ein Kamerateam anwesend war und den dramatischen Einsturz filmte. Die Brücke wurde mit einem versteiften Fachwerkträger wieder aufgebaut und besteht noch heute.
Mehr über die Tacoma Narrows Bridge
Diese Fußgängerbrücke aus dem Jahr 1912 befindet sich heute an der Stelle der ehemaligen Broughton Suspension Bridge © Richerman |
Nachdem die physikalischen Ursachen einer Resonanzkatastrophe schon viele Jahrzehnte bekannt waren, hätte man sich eigentlich kaum vorstellen können, dass es selbst im 21. Jahrhundert beinahe noch einmal zu einem derartigen Brückeneinsturz gekommen wäre. Die Millennium Bridge in London ist eine reine Fußgänger-Hängebrücke, die vor allem durch die extrem flache Linienführung ihrer Tragkabel auffällt. An ihrem Eröffnungstag befanden sich sehr viele Menschen gleichzeitig auf der Brücke und gingen dicht gedrängt hintereinander über die Themse. Eine solche unorganisierte Volksmenge ist natürlich weit davon entfernt im Gleichschritt zu marschieren. Da die Menschen aber so dicht hintereinander gingen, blieb ihnen gar nichts anderes übrig, als ihre Schrittfolge irgendwie mit ihren Vorder- und Hinterleuten zu synchronisieren. Irgendwann spürte ein großer Teil der Menschenmenge die dadurch erzeugte Schwingung der Brücke, und versuchte sich ihr entgegenzustemmen. Das wiederum führte dazu, dass sich immer mehr Menschen dem unbewussten und unbeabsichtigten Gleichschritt anschlossen und die Brücke in immer stärkere Schaukelbewegungen geriet. Schließlich wurde die Brücke vorsorglich gesperrt und zusätzliche, massive Dämpfer eingebaut, mit denen man das Problem in den Griff bekam.
Die Kettenbrücke in Broughton versah nach der Reparatur noch viele Jahre ihren Dienst. Allerdings war man doch etwas verunsichert und verstärkte die Brücke bei vorhersehbaren besonderen Belastungen durch ein zusätzliches Joch unter dem Fahrbahnträger. Nach einer Betriebszeit von insgesamt etwa 85 Jahren, wurde sie abgebrochen und 1912 durch eine fachwerkartige Balkenbrücke ersetzt.
Diese Brücke besteht noch heute und befindet sich exakt an der Stelle, an der einst auch die berüchtigte Kettenbrücke von Broughton stand.
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