Garabit-Viadukt

Saint Flour / Frankreich

Gustave Eiffels Meisterwerk des Brückenbaus erstrahlt heute in der Farbe "Gauguin Rouge"

Brief summary:

The Garabit Viaduct in the French Massif Central is an icon of early iron and railroad construction. It was put into service in 1888, one year before the start of the Paris World Exhibition. For Gustave Eiffel, it was a kind of dress rehearsal for the construction of "his" famous tower.

Der Garabit-Viadukt im französischen Zentralmassiv ist eine Ikone des frühen Eisen- und Eisenbahnbaus. Er wurde 1888 in Dienst gestellt, ein Jahr vor der Pariser Weltausstellung und war für Gustave Eiffel eine Art Generalprobe für den Bau "seines" berühmten Turms.

Das französische Zentralmassiv ist vulkanischen Ursprungs und nach den Alpen und den Pyrenäen das dritthöchste Gebirge des Landes. Mit etwa 15 % der Festlandsfläche dehnt es sich über ein großes Gebiet Südfrankreichs aus. Die Geologie ist teilweise felsig-schroff, das Klima - mit Ausnahme der südlichen Ausläufer - kühler und feuchter als in den meisten Regionen Frankreichs. Dementsprechend war das Zentralmassiv immer dünn besiedelt, denn es war lange Zeit unzugänglich und schlecht erschlossen. Ackerbau und Viehzucht sind hier mühsam und von geringen Erträgen geprägt.


Am Zentralmassiv geht kein Weg vorbei

In der zweiten Hälfte des 19. Jhd. schritt auch in Frankreich der Ausbau des landesweiten Eisenbahnnetzes rasch voran. Jahrhunderte lang hatte der Transport auf den Flüssen und dem gut ausgebauten Kanalsystem den Warenverkehr dominiert. Um 1875 begannen die Planungen für eine Eisenbahnlinie von Paris über Clermont-Ferrand nach Béziers an der Mittelmeerküste. Bei der Suche nach der optimalen Streckenführung stellte sich allerdings das Zentralmassiv in den Weg. Um größere Umwege zu vermeiden, musste man zumindest dessen Ausläufer überwinden.

Widerlager und Kämpfer
Pfeilersockel und Bogenkämpfer. Die Zugverankerung.
des Bogens befindet sich im Zentrum des Pfeilermauerwerks.

Der Bau der Strecke war Aufgabe der technischen Beamten der französischen Straßen- und Brückenbauverwaltung "Ponts et Chaussées". Die Behörde hatte sich dazu entschieden, nach dem Zwangspunkt Clermont-Ferrand die höchsten Regionen des Zentralmassivs an dessen östlicher Flanke zu umgehen. Etwa 15 km südöstlich des Städtchens Saint Flour, mit damals etwa 5.500 Einwohnern, musste der Truyèrefluss passiert werden. Die Truyère ist ein wilder, schluchtenreicher Gebirgsfluss, der in den Cevennen auf einer Höhe von 1400 m entspringt.

Die Planungen im Abschnitt zwischen Marvejols und Neussargues hatte man dem jungen Ingenieur Leon Boyer Boyer starb nur wenige Jahre später (1886) beim Bau des Panamakanals an Gelbfieber. anvertraut, der aus dem Zentralmassiv stammte. Dieser Teil der Strecke war besonders anspruchsvoll und erforderte viele Brücken und Tunnel. Da die Truyère südlich von Saint Flour weit über 100 Meter tief in das Gelände einschneidet, hatten Boyers Vorgesetzte eigentlich die Absicht, die Gradiente der Eisenbahnlinie weitgehend an den Geländeverlauf anzupassen.


Leon Boyer hat eine bessere Idee

Weil dafür ein Umweg von 35 km in Kauf zu nehmen war, hielt Boyer dies jedoch nicht für die beste Lösung. Er favorisierte eine direkte Querung der Schlucht, obwohl dabei eine Spannweite von mehr als 160 m ohne Zwischenstützen erforderlich war. Er arbeitete einen Vorentwurf aus und rechnete den Direktoren vor, dass mit seiner Lösung 2 Millionen Franc eingespart werden könnten. Diese waren wegen der großen Spannweite und der enormen Tiefe der Schlucht zunächst aber skeptisch.

Boyer war über den internationalen Stand des Brückenbaus gut informiert. Ihm war bekannt, dass sein Landsmann Gustave Eiffel gerade dabei war, in Porto eine Eisenbahnbrücke mit ähnlichen Dimensionen zu vollenden. Die Ponte Maria Pia über den Duero nahm 1877 den Betrieb auf. Ihr eiserner Bogen war mit einer Spannweite von 160 m zu diesem Zeitpunkt der größte in der Welt. Boyer gelang es seine Vorgesetzten davon zu überzeugen, Eiffel zu kontaktieren und ihn um eine Einschätzung seines Vorschlags zu bitten.

Eiffel, der sicherlich auch ein guter Ingenieur war, vor allem aber ein gewiefter Geschäftsmann, zeigte sich durchaus nicht abgeneigt, stellte aber Bedingungen. Er wollte sich keinem öffentlichen Wettbewerb stellen, sondern verlangte, ihm den Auftrag direkt, ohne Konkurrenz zu erteilen. Die Behörde ließ sich darauf ein und begründete die freihändige Vergabe so: "Es wäre ungerecht, diese Arbeiten anderen als Herrn Eiffel anzuvertrauen, denn seine Brücke über den Duero hat den Ingenieuren den Gedanken eingegeben, auch das Tal der Truyére durch eine andere Linienführung zu überwinden, die dem Staat im Endergebnis eine Ersparnis von mehreren Millionen bringen wird". Im Übrigen sei Eiffel der Einzige, der schon eine entsprechende Brücke gebaut habe, Erfahrung mit dem Montageverfahren besitze und über das notwendige Gerät verfüge.


Personalprobleme im Hause Eiffel

Im Juni 1879 wurde der Vertrag zwischen Eiffel und der Pont et Chaussées unterzeichnet. Kurz darauf ergab sich für Eiffel allerdings eine unerwartete Schwierigkeit, weil es im Anschluss an den Bau der Maria-Pia-Brücke zu einem Streit mit seinem langjährigen Mitarbeiter und Teilhaber Théophile Seyrig kam. Seyrig war ein sehr talentierter Ingenieur und maßgeblich am Entwurf der Maria-Pia-Brücke beteiligt. Er verlangte daher einen größeren Anteil am Gewinn bei diesem Projekt aber auch an der öffentlichen Reputation, die Eiffel meist geschickt auf sich lenkte. Obwohl Eiffel mit 40 % den kleineren Anteil an der Firma hielt, verweigerte er dies seinem leitenden Ingenieur und es kam zur Trennung.

Die Erfahrungen des Unternehmens bei der Maria Pia-Brücke waren zu einem großen Teil mit Seyrigs Person verbunden, denn er hatte den Entwurf ausgearbeitet und die statischen Berechnungen durchgeführt. Da die geplante Brücke im Zentralmassiv ganz ähnliche statische und konstruktive Anforderungen stellte, war Seyrig für die Aufstellung des Entwurfs eigentlich unverzichtbar. Eiffel verstand es allerdings immer wieder, hervorragende Ingenieure an sich zu binden und fand überraschend schnell adäquaten Ersatz. Dabei half ihm Karl Culmann, Von 1872 bis 1875 war Culmann auch Leiter der Eidgenössischen Technischen Hochschule. der an der ETH in Zürich Bauingenieurwesen lehrte.

Maurice Koechlin

Portrait Maurice Koechlin

*08.03.1856 in Bühl (F)
+12.06.1946 in Veytaux (CH)

Koechlin entstammte einer angesehenen und wohlhabenden Familie von Unternehmern aus dem Elsass, die jedoch Generationen zuvor aus der Schweiz ausgewandert war. Da Koechlin am Ende seines Lebens auch wieder in der Schweiz lebte, kann man ihn als französisch-schweizerischen Ingenieur bezeichnen.

Maurice entdeckte schon in jungen Jahren sein Interesse für technische Dinge. Vielleicht wegen der familiären Wurzeln schickte sein Vater ihn zum Studium an die ETH in Zürich, die er als jahrgangsbester absolvierte. Einer seiner wichtigsten Dozenten war Karl Culmann, der Erfinder der Graphostatik.

Seine erste Anstellung fand er 1877 bei der französischen Ostbahn. Auf Empfehlung von Karl Culmann wechselte er zwei Jahre später in die Firma von Gustave Eiffel, die zu diesem Zeitpunkt gerade ihren ersten internationalen Erfolg mit der Vollendung der Maria-Pia-Brücke in Porto gefeiert hatte. Schon bei seiner ersten Aufgabe, dem Entwurf und der statischen Berechnung für den Garabit-Viadukt, stellte der erst 23-jährige seine Fähigkeiten unter Beweis.

Er wurde nun für viele Jahre zu Eiffels "Chefingenieur" und wichtigstem Mitarbeiter. Neben vielen Brückenkonstruktionen entwarf er gemeinsam mit Emile Nouguier das erste Konzept für einen 300 m hohen Eisenturm. Eiffel stand dem Projekt zunächst skeptisch gegenüber, kaufte seinen Mitarbeitern den Entwurf aber schließlich ab und ließ ihn von einem Architekten überarbeiten. Pünktlich zur Weltausstellung 1889 wurde der Eiffelturm vollendet und macht seinen Namen bis heute unsterblich.

Koechlin entwarf und berechnete auch die Innenkonstruktion der Freiheitsstatue, ein Geschenk Frankreichs an die USA. Die Statue wurde in Frankreich hergestellt und nach einer Probemontage wieder zerlegt und in viele Kisten verpackt nach Amerika transportiert. Im Jahr 1886 wurde "Lady Liberty" an ihrem heutigen Standort im Hafen von New York errichtet.

Als Gustave Eiffel sich 1893 als Folge des Panamaskandals aus dem Berufsleben zurückzog, übergab er die Leitung seiner Firma in die bewährten Hände von Maurice Koechlin. Koechlin leitete die Firma fast 50 Jahre lang bis 1940. Im Alter von immerhin 84 Jahren zog er sich in sein Haus in Veytaux am Genfersee zurück, wo er 1946 im Alter von 90 Jahren starb.

Culmann schlug ihm Maurice Koechlin vor, einen jungen Mann aus dem Elsass, der die besten Noten vorweisen konnte und schon zwei Jahre Berufserfahrung bei der französischen Ostbahngesellschaft gesammelt hatte. Koechlin sollte sich als Glücksfall für Eiffel erweisen, denn trotz seines geringen Alters meisterte der erst 23-jährige Ingenieur die Herausforderung beim Garabit-Viadukt mit Bravour. Eiffel unterschrieb den Vertrag für den Garabit-Viadukt im Juni 1879 und im Oktober kam Koechlin in die Firma. Auch bei späteren Aufträgen, z.B. beim Bau des Eiffelturms, war er Eiffels innovativster Mitarbeiter und wurde nach seinem Rückzug aus dem Berufsleben sein Nachfolger als Direktor des Unternehmens.


Technische und logistische Herausforderungen

Aufgrund der reinen Bauwerksdimensionen schien die Aufgabe im Zentralmassiv auf den ersten Blick der vollendeten Maria-Pia-Brücke in Porto sehr zu gleichen. Die Gesamtlänge war fast identisch und die erforderliche Spannweite des Garabit-Viadukts war nur wenige Meter länger. Lediglich der Abstand zwischen dem Wasserspiegel und dem Gleis war im Zentralmassiv doppelt so hoch. Den größten Unterschied für den praktischen Baubetrieb machte jedoch die jeweils vorhandene Infrastruktur. Während sich die Baustelle in Porto im Umfeld einer großen Stadt befand, mit allen Vorteilen und Annehmlichkeiten die man sich wünschen konnte, fehlte es im Zentralmassiv praktisch an allem, was man für ein solches Unternehmen benötigt.

Eiffel beschreibt in seinem Abschlussbericht Gustave Eiffel: "Notice sur la Viaduc de Garabit" [Paris 1888] die logistische Herausforderung, um in der menschenleeren Region der Auvergne eine Baustelle dieser Größenordnung Aus heutiger Sicht muss man wohl hinzufügen: "und in dieser Zeit" einzurichten und zu betreiben. Für die zeitweise bis zu 500 Arbeiter und die Ingenieure mussten vor Ort entsprechende Wohnbehausungen geschaffen und ihre Versorgung mit Lebensmitteln sichergestellt werden. Die meisten Arbeiter kamen von weit her, viele aus Italien, und brachten ihre Familien mit. Sie waren monatelang hier beschäftigt und konnten bei einer 6-Tage-Woche nicht mal eben nach Hause fahren. Das bedingte eine ständige Wasserversorgung, eine Kantine, medizinische Betreuung und sogar eine Schule für die Kinder der Arbeiter musste eingerichtet werden.

Hinzu kamen Büros, Werkstätten, Lagerplätze für Material sowie Ställe für Pferde und Lasttiere. Das schwere Baumaterial, vor allem 20.000 m³ Granit und 4.000 Tonnen Eisenteile, die in Eiffels Fabrik bei Paris vorgefertigt wurden, kamen am Bahnhof in Neussargues an und wurden dort auf Ochsenkarren umgeschlagen. Weiter ging der mühsame Transport über eine 35 km lange Straße, bis zur Baustelle. Da die Zuwegung natürlich nur auf einer Seite der Truyère vorhanden war, errichtete man zunächst eine Behelfsbrücke über dem Fluss, unmittelbar unter der Hauptbrücke. Die Behelfsbrücke hatte immerhin schon eine Länge von etwa 120 m und eine Höhe von 33 m über dem Wasserspiegel. Sie war mit einem Gleis ausgelegt, über das man Loren für den Materialtransport ziehen konnte.


Die Montage des Bogens


Offiziell begannen die Bauarbeiten am 1. Januar 1880 mit den Gründungsarbeiten für die Fundamente der Pfeiler und des Bogens. Anschließend wurden die aus Granit bestehenden Pfeiler gemauert. Verantwortlicher Ingenieur auf der Baustelle, insbesondere auch für die Eisenmontage, war Eiffels bewährter Mitarbeiter Êmile Nouguier. Kernstück und schwierigster Teil des ganzen Brückenbaus war der 165 m weit gespannte Bogen, der im Unterschied zur Maria Pia-Brücke der Form einer Parabel folgt. Der Bogen der Brücke in Porto hat die Form eines Kreissegments.

Der Zwei-Gelenk-Bogen besteht aus Eisenfachwerk, das von den Kämpfern (Auflagern) bis zum Scheitelpunkt des Bogens in der Höhe zunimmt, aber in der Breite abnimmt. Der Bogen war an den Kämpfern 20 m breit aber am Scheitel nur 6,28 m. Dadurch entsteht in der Ansicht die gleiche elegante Sichelform, wie beim Ponte Maria Pia. Ein sichtbarer Unterschied zur Maria-Pia-Brücke ist allerdings der Verlauf des eingleisigen Fahrbahnträgers, der über den Bogen hinwegführt und ihn nur in seinem Scheitelpunkt berührt. In Porto liegt der Obergurt des Trägers genau auf der Höhe des Bogenscheitels. Der durchlaufende Träger wird daher optisch vom Bogen unterbrochen. Vom ästhetischen Standpunkt ist die Gestaltung des Garabit-Viadukts, zumindest in diesem Detail, eindeutig zu bevorzugen.

Der Bogen wurde von beiden Kämpfern aus gleichzeitig im freien Vorbau montiert. Man errichtete zunächst die beiden gemeinsam mit dem Bogen auf den Sockeln stehenden Pfeiler bis zur vollen Höhe. Von diesen Pfeilern aus wurden die fertiggestellten Bogenabschnitte mit starken Drahtkabeln über die Pfeilerköpfe hinweg bis zum massiven Mauerwerk der Widerlager rückverankert. Dieses Verfahren hatte man auch schon in Porto angewandt. Im Prinzip spielte dabei die deutlich größere Höhe des Garabit-Viadukts keine Rolle.

Das Gleis über dem Bogen
Blick auf das Gleis am nördlichen Ende des Trägers. Die Brüstungen sind um 1,66 m erhöht,
damit die Züge nicht so großen Windlasten ausgesetzt werden. Im Vordergrund ein
Dilatationsstoß für die Längenausdehnung der Schienen. Der weiße Schriftzug
an der Brüstun hängt vermutlich mit dem Anstrich in "Gauguin Rouge" zusammen.

Wie bei Eiffels Bauwerken üblich, wurden alle benötigten Eisenteile in seinem Werk in Levallois-Perret montagebereit hergestellt. Dabei wurde eine Präzision und ein Grad der Vorfertigung erzielt, der in Europa zu dieser Zeit konkurrenzlos war. Die Löcher für die Niete waren bereits gebohrt, sodass man auf der Baustelle, bei teilweise ungemütlichem Wetter und in großer Höhe, "nur noch" die Nietarbeiten durchführen musste. Die Bauteile wurden mit der Eisenbahn nach Neussagues transportiert und dann, wie schon beschrieben, auf der Baustelle angeliefert.

Mit Hilfe der Loren positionierte man sie auf der Behelfsbrücke an der richtigen Stelle und zog sie mit Kränen nach oben. Die Eisenteile waren so konzipiert, dass sie ein maximales Gewicht von 2 Tonnen hatten. Die Begrenzung der Größe war sowohl für den Transport wichtig, als auch für die Montage, denn die Kräne wurden nur mit Muskelkraft bedient. Obwohl insgesamt ca. 500.000 Niete gesetzt werden mussten, waren unzulässige Abweichungen der Bohrlöcher äußerst selten. Die Montage des Bogens begann im Juni 1883. Am 6. April 1884 wurde er geschlossen und das letzte Niet gesetzt. Mit seiner Spannweite von 165 war er nun der größte von Menschenhand geschaffene Bogen der Welt.


Einschieben des Trägers

Den 5,16 m hohen und 5 m breiten Fachwerkträger montierte man nicht in der großen Höhe über dem Fluss, sondern auf festem Grund und Boden, in zwei Montagebereichen auf beiden Seiten der Schlucht. Mithilfe einer Hebelvorrichtung wurden die beiden Trägerabschnitte - auch hier mit reiner Muskelkraft - von beiden Seiten aus eingeschoben, bis sie sich über dem Bogenscheitel trafen. Mit diesem Verfahren konnte man einen Vorschub von bis zu acht Metern pro Stunde erreichen.

Im Gegensatz zum Ponte Maria Pia lag das Gleis aber nicht auf dem Obergurt des Fahrbahnträgers auf, sondern war ca. 1,66 m abgesenkt. Natürlich könnte man auch sagen: die Seitenwände des Trägers wurden 1,66 m höher ausgebildet, als konstruktiv erforderlich. Dadurch bieten die durchfahrenden Züge dem Seitenwind, der in dieser Region auf einer hohen Brücke durchaus eine Gefahr bedeuten kann, eine geringere Angriffsfläche. Auch die Folgen im Falle einer Zugentgleisung schätzte man durch den trogähnlichen Träger deutlich geringer ein. Dass die Tieferlegung schon wegen der Windbedingungen völlig richtig war, zeigte sich nicht weit davon entfernt an einer anderen Baustelle Eiffels.

Kurz vor Vollendung der Brücke kam es im Januar 1884 etwa 140 km nordwestlich zu einem schweren Unfall beim Bau des Viadukt des Tardes. Auch hier war Gustave Eiffels Firma gerade dabei das Eisenfachwerk zu montieren, als das Unglück geschah. Bei einem Sturm, der sich glücklicherweise in der Nacht ereignete, wurde der bereits über 130 m lange Fachwerkbalken von den Pfeilern geblasen und landete 14 m neben der Trasse. Das Ereignis machte großen Eindruck auf Eiffel, der sich danach noch intensiver mit Aerodynamik und dem Einfluss von Windlasten auf Bauwerke beschäftigte.


Warten auf die Belastungsprobe

Nach knapp fünf Jahren Bauzeit, war der Garabit-Viadukt im November 1884 praktisch vollendet. Was aber noch fehlte, war die abschließende Belastungsprobe. Mit diesem letzten Akt überprüfte die staatliche Verwaltung die zugesagte Tragfähigkeit der Brücke. Erst danach ging die Verantwortung für das Bauwerk vom Auftragnehmer auf den Auftraggeber über und die Brücke konnte den Betrieb aufnehmen. Allerdings war die Eisenbahnlinie noch gar nicht an der Truyère angekommen, sodass die benötigten Lasten, in Form von Lokomotiven und Wagen, für diesen Test noch gar nicht zur Verfügung standen.

Eiffels Team
Gustave Eiffel (2.v.L.) mit seinem Team unter dem Garabit-Viadukt.
Im Hintergrund ist noch die Behelfsbrücke zu erkennen. Vermutlich
ganz links: Maurice Koechlin. Auf dem Foto dürften auch Emile
Nouguier und Leon Boyer abgebildet sein. Allerdings ist die
Zuordnung der Personen schwierig.

Die Belastungsprobe konnte daher erst dreieinhalb Jahre später, am 9. April 1888 durchgeführt werden. Als Probelast verwendete man eine Lokomotive mit einer Masse von 75 Tonnen sowie 15 Wagen von jeweils 15 Tonnen. Bei der Durchfahrt des Zuges senkte sich der Scheitel des Bogens nur 4 mm. Im statischen Lastfall betrug die Einsenkung 6 mm. Damit war die Tragfähigkeit der Brücke eindrucksvoll unter Beweis gestellt und die Bahnlinie konnte eröffnet werden.

Der Garabit-Viadukt war die größte Leistung Gustave Eiffels Allerdings ist der persönliche Anteil Eiffels an der technischen Ausführung schwer nachvollziehbar. auf dem Gebiet des Brückenbaus. Am Ende hatte er 3,1 Million Franc gekostet aber es war nur ein Mensch bei den Bauarbeiten ums Leben gekommen. Auch das ist für die damalige Zeit durchaus als Erfolg zu verstehen und unter anderem der perfekten Vorarbeit in Eiffels Werk zu verdanken. Zum Vergleich: bei der im selben Jahr vollendeten Firth of Forth Eisenbahnbrücke kamen 63 Menschen ums Leben und auch beim Bau der Müngstener Eisenbahnbrücke, 13 Jahre später, waren es noch sechs.

Der Garabit-Viadukt war nicht nur die größte Bogenbrücke der Welt, sondern auch die höchste Eisenbahnbrücke. Der Höhenrekord bezieht sich aber nur auf Eisenbahnbrücken. Bei Straßenbrücken war der Pont Charles Albert bei Cruseilles der Rekordhalter, eine Hängebrücke aus dem Jahr 1839, deren Höhe deutlich größer ist. Damit erregte sie nicht nur in Fachkreisen größte Aufmerksamkeit, sondern auch ganz normale Menschen interessierten sich für dieses Symbol des technischen Fortschritts. Die vorher so unberührte Region wurde plötzlich zu einem beliebten Ausflugsziel, denn schließlich gab es ja nun auch eine Eisenbahnlinie, die die Menschen dorthin bringen konnte.

Durch die Verzögerungen beim Bau der Bahnlinie fand die offizielle Eröffnung des Garabit-Viadukt erst im Jahr vor der Internationalen Weltausstellung in Paris statt, bei der Eiffel "seinen" 300-Meter-Turm präsentierte. Eiffel nutzte die Aufmerksamkeit der Weltausstellung aber auch, um eine Monografie über den Garabit-Viadukt vorzustellen. Insofern verhalf die verschobene Inbetriebnahme der Bahnlinie zu Eiffels überragendem Erfolg durch die Weltausstellung.


Der Garabit-Viadukt im Lauf der Zeit

Nach über 135 Betriebsjahren ist der Viadukt heute noch immer unter Verkehr und berühmter denn je. Dabei musste er ständig größere Belastungen ertragen und hat auch sonst viel erlebt. In den ersten 50 Jahren wurde er ausschließlich von Dampflokomotiven benutzt und musste daher 1932 erst einmal "elektrifiziert" werden. Die Höhe des Gleises über dem Wasserspiegel ist seit 1959 variabel, denn damals staute man die Truyère unterhalb der Brücke ein, um Strom zu erzeugen.

Die schmiedeeisernen Bauteile benötigen natürlich einen Anstrich, der regelmäßig erneuert werden muss. Über 100 Jahre lang war die Brücke in einem unauffälligen Grau lackiert, bis man 1992 erstmals ein selbstbewusstes Rot namens "Gaugauin Rouge" wählte, wie man es auch von anderen berühmten Großbrücken Z.B. Golden Gate Bridge, Firth of Forth Eisenbahnbrücke, Ponte 25 de Abril. kennt.

"Europäische Großbrücken des 19. Jahrhunderts";
Bewerbung zur Aufnahme in die UNESCO-Welterbeliste. Beteiligte Bauwerke:
Name Ort Beteiligte Baujahr Spannweite
Ponte Maria Pia Porto (P) Gustave Eiffel 1877 160 m
Viaduc de Garabit Saint Flour (F) Gustave Eiffel 1884 165 m
Ponte Luiz I Porto (P) Théophile Seyrig 1886 172 m
Ponte San Michele Paderno d'Adda (I) Jules Röthlisberger 1889 150 m
Müngstener Brücke Solingen (D) Anton Rieppel 1897 170 m
Viaduc de Viaur Malphettes (F) Paul-Joseph Bodin 1902 220 m

Natürlich ging die ansteigende Zahl der Zugüberfahrten und das immer größere Gewicht der Eisenbahnzüge nicht spurlos an der Eisenstruktur vorüber. Bei den regelmäßigen Überprüfungen jedes einzelnen Bauteils stellte man im Jahr 2009 erstmals Beschädigungen des Pfeilermauerwerks fest. Zunächst reduzierte man die zulässige Geschwindigkeit bei der Überfahrt der Züge auf 10 km pro Stunde, bevor man sie ab 2011 umfangreich sanierte.

Der Garabit-Viadukt steht schon seit vielen Jahren unter nationalem Denkmalschutz. Als in unmittelbarer Nähe die Autobahn A 75 gebaut wurde, legte man extra den Rastplatz "Aire de Viaduc Garabit Eiffel" an, von dem sich eine hervorragende Aussicht auf das berühmte Bauwerk bietet. Der Besuch lohnt sich sogar nachts, denn der Viadukt wird auf beeindruckende Weise illuminiert.

Zwischen Solingen und Remscheid begann man 1894 mit dem Bau der Müngstener Eisenbahnbrücke, die in mancherlei Hinsicht große Ähnlichkeit mit dem Garabit-Viadukt hat. Auch bei der Bauvorbereitung und der Montage (weitgehende Vorfertigung der Eisenteile, Bogenmontage mit Rückverankerung, Behelfsbrücke unter dem Bauwerk) griff man auf Eiffels Vorbild zurück. Statisch ist die Müngstener Brücke allerdings ein gelenkloser, dreifach statisch unbestimmter Bogen, während der Garabit-Viadukt an den Kämpfern Gelenke hat.


Alte und neue Ehren


Garabit-Viadukt mit Beleuchtung
Gerade auch bei Nacht und mit Beleuchtung, ist der Garabit-Viadukt ein echter "Hingucker".

Ihre einstigen Superlative hat der Garabit-Viadukt heute allesamt eingebüßt. Stattdessen steht er aber schon seit vielen Jahren unter nationalem Denkmalschutz Frankreichs. In einer gemeinsamen Initiative mit fünf weiteren Brücken ähnlicher Bauart, besteht nun die Möglichkeit, zu einer weiteren Ehre für das historische Bauwerk.

Im Jahr 2017 haben vier europäische Länder den Entschluss gefasst, für diesen Brückentyp gemeinsam einen Antrag zur Aufnahme in die Welterbe-Liste der UNESCO zu stellen. Das Thema der Bewerbung lautet "Europäische Großbrücken des 19. Jahrhunderts". Die sechs beteiligten Bauwerke, darunter auch die Müngstener Brücke, sind der nebenstehenden Tabelle zu entnehmen. Das Aufnahmeverfahren über nationale Listen, bis hin zu einer endgültigen Entscheidung der UNESCO, ist langwierig und wird sicherlich noch einige Jahre in Anspruch nehmen.

Eiffels setzte sein Team beim Bau des Garabit-Viadukts fast mit den gleichen Personen und den gleichen Aufgaben auch beim Bau des Eiffelturms ein: Emile Nouguier (allgemeine Entwicklung des Projekts und der Montageverfahren), Maurice Koechlin (Entwurf und Berechnung), Jean Compagnon (Montage und Bauleitung) und Jean-Baptiste Gobert (Assistent der Gesamtleitung). Der Garabit Viadukt war daher auch eine Art Generalprobe für den Bau des Turms, der Gustave Eiffel schließlich unsterblich machen sollte.

Quellen: Interne Links:
  • Gustave Eiffel: "Notice sur la Viaduc de Garabit" [Paris 1888]
  • Hans Pottgießer: "Eisenbahnbrücken aus zwei Jahrhunderten" [Basel 1985]
  • Bernhard Tokarz: "Gustave Eiffel, Vision - Experiment - Geschäft". In "Beiträge zur Geschichte des Bauingenieurwesens. Vorträge im Wintersemester 1989/90 an der Universität Stuttgart.
  • Pierre Dubas: "Der Garabit-Viadukt bei Saint-Flour" in "Dipl.Ing. Maurice Koechlin und der Eiffelturm". Schriftenreihe der ETH. [Zürich 1990].
  • Schriftenreihe der ETH-Bibliothek, 27: "Dipl. Ing. Maurice Koechlin und der Eiffelturm" [Zürich 1990].
  • Klaus Stiglat: "Brücken am Weg - Frühe Brücken aus Eisen und Beton in Deutschland und Frankreich" [Berlin 1997].
  • Judith Dupré: "Die Geschichte berühmter Brücken" [Köln 1998].
  • Gerhard Mehlhorn: "Handbuch Brücken - Entwerfen, Konstruieren, Berechnen, Bauen und Erhaltung" [Heidelberg 2007].
  • Adam Hart-Davies (Hrsg.): "Ingenieure - Auf den Spuren großer Erfinder und Konstrukteure" [München 2013].
  • David P. Billington: "Der Turm und die Brücke - Die neue Kunst des Ingenieurbaus" [Berlin 2014].
  • Karl-Eugen Kurrer: "Geschichte der Baustatik - Auf der Suche nach dem Gleichgewicht" [Berlin 2016].
  • welterbe-muengstener-bruecke.de/
  • structurae.de
  • wikipedia.de (diverse Artikel)
  • https://www.highestbridges.com/

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