© Francois Dionne, Québec
Der Sankt-Lorenz-Strom ist einer der größten Flüsse Nordamerikas, über den auch die 'Great Lakes' (u.a. Eriesee, Ontariosee und Michigansee) in den Atlantik entwässern. Die Breite des Flusses variiert sehr stark und erreicht bei Donnacona immerhin 4,5 km. Etwa 50 km weiter flussabwärts passiert er Québec, die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz im französischsprachigen Teil Kanadas. Hier verringert sich die Breite des Flusses an der engsten Stelle auf etwa 800 m, gräbt sich dadurch aber bis zu 67 m tief in den Untergrund ein.
Ein solcher Fluss ist natürlich für jeden Verkehrsweg ein gewaltiges Hindernis, den man jahrhundertelang nur mit Fähren überwinden konnte. Obwohl Québec südlicher liegt als München oder der Bodensee, sind die Winter in dieser Region sehr lang und kalt, sodass der Sankt-Lorenz-Strom in der Regel von Dezember bis März zugefroren ist. Während man sich im Winter zeitweise mit Pferdeschlitten behelfen konnte, ging im Frühjahr zurzeit der Eisschmelze gar nichts, sodass jeglicher Verkehr über den Fluss regelmäßig zum Erliegen kam.
Die erste Brücke über den Sankt-Lorenz-Strom baute Robert Stephenson zwischen 1854 und 1859 in der Nähe von Montreal, nach seinem in Wales erprobten System der 'Röhrenbrücken'. Die größte Spannweite dieser Eisenbahnbrücke betrug 107 m und die restlichen 24 Felder waren 74 m weit gespannt. Damit war die Victoria Brücke mit einer Gesamtlänge von etwa 2 km die längste Brücke der Welt. Der Spannweite einer Röhrenbrücke sind physikalische Grenzen gesetzt, die eine Übertragung dieses Systems auf die Verhältnisse bei Québec unmöglich machten. Der Fluss war dort immer noch viel zu breit, um ihn mit einer einzigen Röhre zu überspannen und auf der anderen Seite ließ die enorme Wassertiefe keine Stützpfeiler im Flussbett zu.
Theodore Cooper in jungen Jahren
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Der Bedarf für eine Eisenbahnbrücke über den Sankt-Lorenz-Strom bei Québec lag allerdings auf der Hand und so wurde bereits 1887 eine Brückenbaugesellschaft gegründet, deren Ziel darin bestand, mögliche technische Lösungen auszuloten. Man musste allerdings vorläufig zur Kenntnis nehmen, dass sowohl die Stahlbautechnik als auch die Statik noch nicht weit genug fortgeschritten war, um ein solches verkehrstechnisches Problem zu lösen.
Im Jahr 1866 ließ sich Heinrich Gerber Geboren am 18. November 1832 in Hof, gestorben am 3. Januar 1912 in München ein neues System für weit gespannte Gitterträger patentieren, das prinzipiell auf einer Auslegerbrücke beruhte. Seine Idee bestand darin, zwischen den beiden Kragarmen einen relativ kurzen, gelenkig gelagerten Einhängeträger anzuordnen, mit dem er deutlich größere Spannweiten erzielen konnte. Der nach ihm benannte 'Gerberträger' bescherte vor allem dem Eisenbahnbau neue Möglichkeiten bei der Streckenführung. Die erste Brücke dieser Art wurde 1867 bei Haßfurt errichtet. Sie hatte eine Weite von knapp 38 m und war für den Straßenverkehr bestimmt.
Vor allem mit dem Bau der Eisenbahnbrücke über den Firth of Forth drang die Auslegerbrücke mit Gerberträger auch von der Spannweite her in ganz neue Dimensionen vor. Die Forth-Brücke wurde 1890 vollendet und hatte zwei Einzelfelder mit jeweils 521 m Länge. Damit war sie die größte Brücke der Welt und sorgte auch im fernen Québec wieder für neuen Mut.
Schon während dem Bau der Forth-Brücke begann sich die Brückenbaugesellschaft wieder intensiver mit den Plänen für die Eisenbahnlinie über den Sankt-Lorenz-Strom zu beschäftigen. Um das Projekt voranzubringen, schrieb man einen Wettbewerb aus und beauftragte Theodore Cooper mit der Prüfung der Vorschläge. Cooper war ein renommierter Ingenieur aus den USA, der sich durch seine Mitarbeit bei einigen der größten Stahl-Brücken einen Namen gemacht hatte. U.A. hatte er mit James Eads in St. Lois die erste Brücke über den Mississippi gebaut.
Cooper scheint seinen Auftraggebern schon bald durch seinen selbstgefälligen Charakter und eine gewisse Neigung zur Beratungsresistenz aufgefallen zu sein. Nachdem er die Angebote geprüft hatte, schrieb er ganz in dieser Haltung an die Brückenbaugesellschaft: "Ich, Theodore Cooper, berichte und beschließe hiermit, dass der Entwurf mit dem Auslegeroberbau der Phoenix-Brückenbaugesellschaft der beste und billigste Vorschlag ist". Cooper scheint sich keine großen Gedanken darüber gemacht zu haben, dass der zweitplatzierte Vorschlag ein ganz ähnliches System vorsah, jedoch etwa 20 % mehr Eisenmaterial benötigt hätte. Das war ein entscheidender Kostennachteil, hätte aber auch ein Hinweis darauf sein können, dass der siegreiche Vorschlag sehr knapp dimensioniert war.
Der Vorschlag der Phoenix-Brückenbaugesellschaft sah eine Auslegerbrücke mit Gerberträger vor, die eine Hauptspannweite von 1.600 Fuß (488 m) erhalten sollte und aus rechteckigem Stahlfachwerk herzustellen war. Die Entscheidung für diesen Brückentyp steht natürlich in engem Zusammenhang mit der im gleichen Jahr erfolgten Vollendung der Firth of Forth Brücke. Cooper, dem auch die Oberbauleitung übertragen wurde, nahm dann aber einige, wie sich später herausstellen sollte, verhängnisvolle, Änderungen an den Planungen vor. Vor allem erhöhte er die vorgesehene Spannweite auf 1.800 Fuß (549 m), ohne jedoch eine ausführliche Neuberechnung der Statik durchführen zu lassen. Er behauptete, die Stabilität eines Bauwerkes hinge in erster Linie von der Intuition des handelnden Ingenieurs ab und weniger von theoretischen Berechnungen.
Die Brücke in Québec nach der Umplanung durch Theodore Cooper mit vergrößerter Spannweite
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Für die Entscheidung die Spannweite zu vergrößern gab es durchaus praktische Gründe. So rückten durch diese Maßnahme die beiden Pfeiler bis an die Ufer heran und die Gründung der Fundamente konnte einfacher hergestellt werden als bei einer Gründung im Wasser. Das wirkte sich natürlich positiv auf die Kosten und die Bauzeit aus. Allerdings wäre zu dieser Zeit die Herstellung der Fundamente in direkter Ufernähe auch im Wasser kein unlösbares technisches Problem gewesen.
Die Entscheidung gab daher Anlass zu Spekulationen, ob Cooper nicht vielleicht noch andere Gründe in seine Überlegungen mit einbezogen habe. Vor allem lag der Verdacht nahe, er habe mit dem schönen Nebeneffekt geliebäugelt, dass "seine" Brücke durch diese Planänderung die Spannweite der Firth of Forth Brücke übertreffen würde, und somit nach ihrer Vollendung die größte Brücke der Welt sein würde. Diese Dinge blieben einigen Fachleuten nicht verborgen und sie kritisierten die geänderten Pläne in der Öffentlichkeit.
Der Streit ging sogar soweit, dass in den Medien noch vor Beginn der Bauarbeiten eine unabhängige Überprüfung der Baupläne verlangt wurde. Das scheint Cooper sehr verärgert zu haben, denn er lehnte die Überprüfung mit der Begründung ab, man habe schon viel zu viel Zeit mit den Vorbereitungen verloren. Cooper hatte einen ausgezeichneten Ruf als Brückenbauer und trat entsprechend selbstsicher auf. Als er bei einer anderen Gelegenheit zu seiner Arbeit befragt wurde, sagte er: "Es gibt niemanden, der kompetent genug ist, um uns zu kritisieren". Da ihm die Brückenbaugesellschaft weiterhin vertraute, konnte Cooper seine Vorbereitungen ohne weitere Verzögerungen fortsetzen.
Es blieb daher bei den Planänderungen die Cooper mit seiner forschen Haltung durchgesetzt hatte. Dennoch begannen die Bauarbeiten aus verschiedenen Gründen erst im Jahre 1902 mit der Grundsteinlegung. Obwohl die Brücke in Québec zu dieser Zeit mit Abstand sein größtes Projekt war, versuchte Cooper die Baustellenleitung von New York aus zu organisieren. Er ernannte mehrere Vertreter auf der Baustelle, die jedoch alle mehr oder weniger unerfahren waren. Auch schein er ein Freund des schnellsten Kommunikationsmediums der damaligen Zeit gewesen zu sein: der Telegrafie. Sein erster Ingenieur hatte den Auftrag, ihm täglich den Baufortschritt nach New York zu übermitteln. Cooper scheint eine sehr moderne Auffassung seines Berufs gehabt zu haben und sah seine Aufgabe offenbar eher darin, im Hintergrund die Fäden zu ziehen und die praktischen Arbeiten seinen Mitarbeitern vor Ort zu überlassen. Angeblich ist Cooper während der Stahlbauarbeiten kein einziges Mal persönlich auf der Baustelle in Québec erschienen.
Der südliche Ausleger, wenige Stunden vor dem Einsturz. Links vom Kran die fast fertiggestellte Hälfte des Gelenkträgers.
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Da für die Montage der großen Stahlteile ein riesiger Kran benötigt wurde, sah der Bauablauf vor, zunächst auf beiden Seiten die Fundamente und Pfeiler zu errichten. Anschließend sollte zuerst der Ausleger auf der Südseite montiert werden und - nach Umsetzung des Kranes - der auf der Nordseite. Ähnlich wie bei einer zweihüftigen Schrägseilbrücke sind auch bei einer Auslegerbrücke die beiden Brückenhälften unabhängig voneinander standsicher. Auch der etwa 208 m lange Gelenkträger sollte im freien Vorbau hergestellt werden, indem er jeweils zur Hälfte an die beiden Ausleger angebaut werden sollte. Bis August 1908 war der südliche Ausleger vollendet und man war gerade dabei, den halben Gelenkträger zu montieren, als erste Probleme auftraten.
Das erste Anzeichen waren Nietverbindungen im Untergurt, die nicht richtig übereinander passten, was nur durch Verformungen der Stahlteile erklärbar war. In der Folge gab es eine langwierige Debatte darüber, wann die Verformungen erstmals aufgetreten seien. Die Vertreter der Baufirma waren natürlich der Ansicht, dass die Träger bereits verbogen auf der Baustelle angeliefert worden waren. Jedenfalls wurde die Ursache des Problems nicht gefunden, und auf der Baustelle fand niemand den Mut entsprechende Entscheidungen zu treffen. Der erste Ingenieur informierte Cooper schließlich über die Schwierigkeiten mit den verbogenen Gurten. In dieser Situation scheint Cooper das einzig Richtige gemacht zu haben, indem er am 27. August telegrafisch einen Baustopp bis zur völligen Klärung aller Fragen an das Büro der Brückenbaugesellschaft schickte.
Aus heute nicht nachvollziehbaren Gründen kam diese Anweisung aber offenbar niemals auf der Baustelle an. Während Cooper nun der Meinung war, die Gefahr sei fürs erste gebannt, wurde in Québec ohne Pause weiter gearbeitet. Am darauf folgenden Tag traten keine weiteren Unregelmäßigkeiten auf und auch am 29. August 1907 verlief die Arbeit bis kurz vor Feierabend planmäßig. Fünfzehn Minuten vor Ertönen des Signals geschah es dann jedoch: der gesamte Ausleger fiel samt Kran und allem was sich darauf befand unvermittelt in sich zusammen. Massive Träger, Streben und Gurte, insgesamt 9.000 Tonnen Stahl, knickten wie Streichhölzer ein und rissen fast alle anwesenden Arbeiter mit in die Tiefe.
Die Trümmer des südlichen Auslegers nach dessen vollständiger Zerstörung
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Die menschliche Seite des Unglücks war dramatisch: von den ca. 90 Arbeitern auf der Baustelle kamen 78 ums Leben. Unter den Toten waren auch 33 Mohawk-Indianer, die als besonders schwindelfrei galten. Durch die große Wassertiefe konnten nicht alle Toten geborgen werden, sodass einig zunächst als 'vermisst' galten und erst später für tot erklärt wurden. Auf dem Friedhof in Quebec gibt es noch heute ein Denkmal für die Opfer dieser Katastrophe. Es besteht aus einem kirchturmartigen Pfeiler, der aus Überresten der zerborstenen Stahlträger hergestellt wurde.
Schon wenige Tage nach dem Unglück setzte die kanadische Regierung eine hochrangige Untersuchungskommission ein, um die Gründe und gegebenenfalls auch Schuldige zu ermitteln. Die primäre Unfallursache war schnell gefunden: auf beiden Seiten des Auslegers war jeweils das neunte Feld des Untergurtes gebrochen, sodass das gesamte System kollabieren musste. Schwieriger war es da schon festzustellen, wie es zu diesem Materialversagen kommen konnte.
Einen der Hauptgründe für den Unfall sahen die Kommissionsmitglieder im nicht ausreichend berücksichtigten Eigengewicht der Konstruktion. Vor den Bauarbeiten hatte man das Gesamtgewicht aller Eisenteile nicht exakt berechnet, sondern lediglich geschätzt. Nur die größten Einzelteile hatte man genauer betrachtet, weil man sie transportieren musste. Das exakte Gewicht aller Bauteile wurde daher erst kurz vor der Montage festgestellt und registriert. So stellte sich erst im Laufe der Bauarbeiten heraus, dass man am Ende deutlich über der kalkulierten Masse liegen würde. Cooper hatte seinerzeit aber in seiner eigensinnigen Art entschieden, dass das Gewicht noch innerhalb der zulässigen Toleranzen läge.
Vermutlich hätte das Unglück nach Entdeckung der verbogenen Untergurte noch vermieden werden können, wenn die Organisation der Baustelle nicht so mangelhaft gewesen wäre. Während der Oberbauleiter aus dem fernen New York agierte, fanden seine inkompetenten Mitarbeiter auf der Baustelle nicht den Mut, Konsequenzen zu ergreifen und die Baustelle stillzulegen. Hinzu kam die schleppende und über Umwege führende Kommunikation, welche die Katastrophe letztendlich erst möglich gemacht hatte.
Der Zusammenbruch erfolgte innerhalb von 15 Sekunden
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Cooper konnte persönlich keine justiziable Schuld an dem Unglück nachgewiesen werden. Er habe weder über ungenügendes Fachwissen verfügt, noch sei er beim Bau übertrieben sparsam gewesen oder hätte in sonst einer Weise fahrlässig gehandelt. Es sei ganz einfach so gewesen, dass Cooper mit dem größten und schwierigsten Brückenprojekt seiner Zeit beauftragt worden sei, bei welchem er sich nicht ausschließlich auf bekannte Erfahrungen stützen konnte, sondern bei dem auch neue, bisher unbekannte Probleme zu lösen gewesen seien. Dieser Aufgabe sei Cooper ganz einfach nicht gewachsen gewesen. Für einen Mann wie Cooper war dies sicherlich ein wenig schmeichelhaftes Urteil, auch wenn er im juristischen Sinne nicht belangt wurde. Dennoch bedeutete das Unglück für ihn das Ende seiner Karriere als Brückenbauer. Er lebte danach sehr zurückgezogen in New York und starb am 24. August 1919 im Alter von 80 Jahren. Seltsamerweise starb Cooper nur zwei Tage nach der offiziellen Einweihung der Brücke in Québec
Der Bericht der Kommission bestand aus zwei Teilen, der eigentlichen Untersuchung des Unfalls und einer Expertise über die Konstruktionsweise der Québec-Brücke, in dem die Schwachstellen herausgearbeitet und Verbesserungsvorschläge gemacht wurden. Für letzteren Teil war Charles C. Schneider verantwortlich, der in Philadelphia ein Ingenieurbüro unterhielt. Bei ihm arbeite ab 1905 der Schweizer Othmar H. Ammann, der später zu einem der berühmtesten Brückenbauer aller Zeiten werden sollte. Dessen Biograf Fritz Stüssi erwähnt in seinem Buch, "Othmar H. Ammann - Sein Beitrag zur Entwicklung des Brückenbaus" (Basel, 1974) dass Ammann an dem Bericht über die Québecbrücke mitgearbeitet hat, ohne aber namentlich erwähnt zu werden.
Für die Wissenschaft war der Einsturz des Auslegers sehr lehrreich. Das plötzliche Versagen der Stahlgurte löste in den folgenden Jahren umfangreiche Forschungen zum Knickverhalten gedrückter Stäbe aus und förderte die Entwicklung entsprechender Theorien. Wie aber sollte man nun in Québec weiterverfahren? Da die Bahnlinie über den Sankt-Lorenz-Strom weiterhin dringend benötigt wurde, stellte sich die Frage, ob man kurzfristig einen erneuten Versuch wagen sollte und was dabei gegenüber der gescheiterten Variante zu verändern war.
Nachdem die Untersuchungsergebnisse ausgewertet waren und man sicher war, dass die man die entscheidenden Fehler der ersten Konstruktion ausfindig gemacht hatte, schrieb die Brückenbaugesellschaft einen erneuten Wettbewerb aus. Dabei wurden vier Vorschläge eingereicht, darunter auch einer von der Maschinenfabrik Augsburg - Nürnberg Zentralblatt der Bauverwaltung. Ausgabe 39. 1919, Nr. 10 (MAN). Den Zuschlag erhielt aber ein Zusammenschluss kanadischer Firmen. Um dem Projekt auch in der Öffentlichkeit neues Vertrauen zu schenken, engagierte man für die Bauleitung Ralph Modjeski, Modjeski war später noch an vielen großen Brückenprojekten beteiligt, u.A. der Ambassador Bridge (1929; löste die Québec Brücke als größte Brücke der Welt ab) sowie der San Francisco-Oakland Bay Bridge (1936) der bereits bei vielen großen Stahlbrücken in den USA mitgewirkt hatte, darunter die Manhatten Bridge in New York (1906).
Der Bau der zweiten Brücke. Montage des Einhängeträgers auf einem Gerüst in Ufernähe.
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Das Einzige was von der ersten Brücke übrig geblieben war, waren die Stützpfeiler im Fluss, sodass die von Cooper festgelegte Mittelspannweite beibehalten wurde. Auch blieb man beim System des Gerberträgers, denn zu diesem Zeitpunkt kam keine andere Brückenart für eine solche Spannweite in Frage und Hängebrücken hatten sich für die Eisenbahn nicht bewährt.
Dennoch wurden bei der zweiten Brücke wesentliche Änderungen vorgenommen:
Etwa 1912 wurden die Stahlbauarbeiten an den Auslegern wieder aufgenommen. Vorher hatte die Beseitigung der Trümmer in Ufernähe viele Monate in Anspruch genommen. Für die Arbeiten an den Auslegern nahm man sich bewusst viel Zeit, denn nach dem Unglück stand die Sicherheit an erster Stelle. Entsprechend ruhig und gleichmäßig wuchsen die Ausleger von beiden Seiten auf die Flussmitte zu, bis man im September 1916 soweit war, den etwa 5.000 Tonnen schweren Gelenkträger einzusetzen.
Am Morgen des 11. September 1916 hatte man den fertigen Träger auf Leichter verladen und zwischen den Auslegern in Position gebracht. Nun musste das schwere Bauteil von insgesamt acht Pressen 46 m angehoben werden um auf das Niveau der Ausleger zu kommen. Dazu ließ man den Träger auf der Gerüstplattform liegen, auf der er schon montiert worden war, und setzte auch die Pressen an dieser Plattform an. Dadurch wollte man etwaige Beschädigungen oder Verformungen durch die Pressen am Träger selbst vermeiden. Das Anheben geschah in Intervallen von 61 cm. Sobald diese Höhe erreicht war, wurde der Träger durch 30 cm starke Bolzen gesichert und die Pressen konnten umgesetzt werden. An den Enden der beiden Ausleger warteten derweil die Arbeiter darauf, den Träger in seiner endgültigen Position zu fixieren.
11. September 1916: Beim Versuch den Gelenkträger zwischen den Auslegern zu montieren, stürzt er in den Fluss
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Nach zwei Stunden hatte der Träger bereits eine Höhe von 9 m erreicht, als plötzlich einer der beiden Auflagerpunkte der Gerüstplattform brach und der Träger in den Fluss stürzte. Bei diesem Unfall kamen wiederum 13 Arbeiter ums Leben und einige mehr wurden schwer verletzt. Der Gelenkträger versank auf den Grund des Sankt-Lorenz-Stromes und wurde wegen der großen Tiefe niemals geborgen. Dadurch wurde der eigentliche Grund für das Materialversagen auch nie geklärt. Es erschien jedoch alles andere als logisch, dass ein Bauteil das bereits seit mehreren Wochen dem vollen Gewicht des Trägers standgehalten hatte, nun bei der gleichen Belastung plötzlich versagte. Im Gegensatz zu dem ersten Unfall hielt man sich aber diesmal nicht lange mit der Suche nach den Gründen für das Unglück auf.
Da die Brücke fast fertig war und die beiden Ausleger noch immer auf ihr Mittelstück warteten, gab es keinen großen Entscheidungsspielraum und man entschloss sich die Brücke wie geplant zu Ende zu bringen. Jede andere Alternative wäre mit einer kostspieligen Demontage der beiden Ausleger verbunden gewesen. Also stellte man den gleichen Gelenkträger noch einmal her und startete über zwei Jahre später einen erneuten Versuch, diesen in seine Position zu bringen. Rein technisch verlief dieser Vorgang genauso wie beim gescheiterten Versuch, wobei man sich diesmal aber wesentlich mehr Zeit ließ. Durch die tragische Vorgeschichte hatte die Brücke von Québec schon eine gewisse Berühmtheit erlangt, sodass beim erneuten Versuch die Brücke zu vollenden, eine große Menschenmenge an den Ufern versammelte.
Erst nach vier Tagen, am 24. September 1917, war das Werk vollbracht und der Träger sicher an Ort und Stelle montiert. Am 22. August 1919, also immerhin 31 Jahre nach Beginn der ersten Planungen, konnte der damalige Prince of Wales Der spätere König Edward VIII das Bauwerk endlich dem Verkehr übergeben. Sie war nach ihrer Fertigstellung für 12 Jahre die größte Brücke der Welt, bis Leon Moisseiff die Ambassador Bridge in Detroit vollendete.
Zunächst wurde die Québec-Brücke als reine Eisenbahnbrücke mit zwei Spuren in Betrieb genommen, doch auch in Kanada wurde der Schienenverkehr im Laufe der Zeit immer mehr durch den Straßenverkehr verdrängt. Dies führte im Jahre 1951 dazu, dass ein Geleis entfernt wurde, um Platz für die Automobile zu schaffen. Obwohl dieses Zugeständnis an den Individualverkehr schon bald nicht mehr ausreichte, ist es bis heute bei dieser Aufteilung der Verkehrsarten geblieben. Um ein Ventil für den zunehmenden Autoverkehr zu schaffen, wurde 1970 in unmittelbarer Nähe die Pierre Laport-Hängebrücke mit einer Spannweite von 668 m in Betrieb genommen.
Vergleich der beiden größten Auslegerbrücken der Welt
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Die große Zeit der Auslegerbrücken ging mit dem Pont de Québec langsam zu Ende. Das lag aber nicht nur an den vielen Schwierigkeiten und dem völlig gesprengten Kostenrahmen beim Bau dieser Brücke. Vielmehr spielte hier auch die Zunahme des Automobilverkehrs eine Rolle, bei gleichzeitigem Bedeutungsverlust der Eisenbahn. In der ganzen Welt wurden jetzt weniger neue Eisenbahnlinien gebaut, sondern vor allem Straßen. Für eine Straßenbrücke war ein solch massives 'Ungetüm' wie eine Auslegerbrücke nicht erforderlich, sondern es konnten billigere Systeme zur Anwendung kommen, wie z.B. Hängebrücken und später auch Schrägseilbrücken.
Mit ihrer Hauptspannweite von 549 m ist die Brücke über den Sankt-Lorenz-Strom bis heute die größte Auslegerbrücke der Welt geblieben. Allerdings zeigt ein Blick auf die Größenverhältnisse sofort, dass die Firth of Forth Brücke in Schottland mit ihren beiden Hauptfeldern insgesamt noch größer und eindrucksvoller ist.