© Bernd Nebel
Im Jahre 1753 starb in Bristol der Weinhändler und Ratsherr William Vick. Der weitblickende Mann hinterließ der Nachwelt die Vision einer Brücke über die eindrucksvolle Schlucht des Avon, die er mit einer Stiftung in Höhe von 1.000 £ ins Leben rief. Das Geld legte er in die Hände des örtlichen Unternehmerverbandes, der die Aufgabe hatte es zinsbringend anzulegen. Nach seinem Willen sollte das Geld -sobald eine Summe von 10.000 £ erreicht wäre- für den Bau einer Brücke zwischen Leigh Woods und Clifton verwendet werden. Und: ihre Benutzung sollte für alle kostenlos sein!
Die Schlucht des Avon ist bei Bristol nicht nur sehr hoch, sondern auch etwa 200-300 m breit. Außerdem war die Gegend um 1753 nur dünn besiedelt, und nicht jeder sah damals die Notwendigkeit für eine Brücke an dieser Stelle. Es gab zu dieser Zeit nirgends eine Brücke mit einer solchen Spannweite, denn man hatte im Prinzip nur zwei Möglichkeiten: eine steinerne Bogenbrücke oder eine hölzerne Balkenbrücke. Die erste Brücke aus Eisen wurde erst 26 Jahre später im Coalbrookdale gebaut. Zum Glück nahm im Laufe der Zeit aber nicht nur das Grundkapital der Stiftung zu, sondern auch die technischen Möglichkeiten zum Bau einer solchen Brücke.
1828, also gut 75 Jahre später, war das Kapital der Stiftung auf knapp 8.000 £ angewachsen und der Unternehmerverband gründete eine Gesellschaft zum Bau der Brücke. Ein Grund für den vorzeitigen Start des Projektes, obwohl die von Vick verlangten 10.000 £ ja noch gar nicht zusammen waren, können vielleicht auch die weit gespannten Brücken gewesen sein, die kurz zuvor in Europa gebaut worden waren. Nun rückte auch eine Brücke über die Avonschlucht in den Bereich des Realisierbaren.
Die beiden Entwürfe Brunels. Oben der von ihm selbst favorisierte Plan, für den fast keine Mauerwerksarbeiten erforderlich gewesen wären. Unten der siegreiche Vorschlag aus dem zweiten Wettbewerb. © "The life of Isambard Kingdom Brunel", von dessen Sohn Dr. Isambard Brunel |
Die Gesellschaft setzte eine Kommission ein, die mögliche Konstruktionen und deren Kosten untersuchen sollte. Eine Steinbogenbrücke schied von vornherein aus, denn sie sollte mindestens 90.000 £ kosten. Also wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben und um Vorschläge für das Projekt gebeten. Da die Kommission davon aus ging, dass die Summe aus der Stiftung keinesfalls ausreichen würde rief sie auch gleichzeitig eine Spendenaktion ins Leben.
Zufällig hielt sich zu dieser Zeit gerade ein junger Mann in Bristol auf, der später einer der größten Ingenieure aller Zeiten werden sollte. Sein Name war Isambard Kingdom Brunel und er war gerade erst 23 Jahre alt, als er von dem Wettbewerb erfuhr. Er hatte beim Bau des ersten Themsetunnels, den sein Vater durchführte, einen Unfall erlitten, von dem er sich in Südengland erholte. Mit dem Bau von Brücken hatte er keinerlei Erfahrung, aber er hatte durch seine Ausbildung in Frankreich theoretische Kenntnisse der Materie.
Mit Sicherheit ließ er sich auch von Marc Brunel, seinem Vater, beraten, der 1823 auf der Insel La Réunion (damals: Bourbon) zwei kleinere Hängebrücken gebaut hatte. Erst vor wenigen Jahren wurden aus Brunels Nachlass Unterlagen bekannt, die Aufschluß über diese Hilfe geben. Es gibt nämlich auch einen Entwurf von Marc Brunel für die Clifton Suspension Bridge, der nur einen mittleren Pfeiler am Ufer des Avon vorsieht, der in einem asiatischen Stil gehalten ist. Der Entwurf trägt den Vermerk "Paris, 28. Okt. 1829", also wenige Tage vor der Abgabefrist für den Wettbewerb. Aus dem zugehörigen Schriftverkehr geht hervor, dass Marc Brunel der Meinung war, die breite Avonschlucht bei Clifton könnte nicht mit einer einzigen Spannweite überbrückt werden und er riet seinem Sohn, in irgendeiner Form Mittelpfeiler einzuplanen.
Der Entwurf Thomas Telfords mit ca. 80 m hohen Türmen im gotischen Stil, der in der Öffentlichkeit auf breite Ablehnung stieß.
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Isambard Kingdom Brunel ließ sich davon aber offensichtlich nicht beirren und reichte im November 1829 insgesamt vier Entwürfe ein, die für verschiedene Standorte der Schlucht vorgesehen waren. Alle Pläne sahen Hängebrücken vor, mit nur einer Spannweiten zwischen 232 und 354 m. Insgesamt gingen 22 Vorschläge ein, von denen aber nur acht in die engere Auswahl kamen, darunter alle vier von Brunel. Die Entwürfe Brunels zeichneten sich besonders durch ihre Kühnheit aus und hatten die größten Spannweiten. Dabei ist der mutigste Vorschlag auch der klarste und interessanteste, denn durch die große Spannweite kam er mit recht bescheidenen Pylonen aus, die im normannischen Stil gehalten waren. Da die Pylone so dicht an den Felsen standen, waren keine Rückhalteketten erforderlich, denn die Hauptketten hätten direkt im Gestein verankert werden können. All das drückte die Kosten und machte diesen kühnen Entwurf eigentlich zum überlegenen Vorschlag des Wettbewerbs.
Dieser von Brunel selbst favorisierte Entwurf sah eine Spannweite von 354 m vor und wäre damit exakt doppelt so groß gewesen wie die damals größte Brücke der Welt. Das war die Menai Strait Bridge in Wales, die Thomas Telford 1826 vollendet hatte.
Natürlich war es für die Kommissionsmitglieder seht schwer sich für einen Entwurf zu entscheiden, für den es in der ganzen Welt kein Beispiel gab, zumal von einem so jungen und unerfahrenen Mann. Man entschloss sich daher zunächst kompetenten Rat einzuholen und da bot sich eben jener Telford geradezu an. Telford war damals im In- und Ausland der anerkannteste Fachmann den man für alle Fragen des Brückenbaus gewinnen konnte. Allerdings war er schon 72 Jahre alt und wurde -vielleicht das einzige Mal in seiner Karriere- einer Aufgabe nicht wirklich gerecht.
Der massige Sockel auf der Leigh Woods Seite. Bei einer Untersuchung mit Ultra- schall stellte man 2002 fest, dass er wie eine Honigwabe von bis zu 11 m hohen Kammern und Gängen durchzogen ist. Brunel wollte dadurch Kosten einsparen. © Herrad Taubenheim |
Telford lehnte alle eingereichten Vorschläge als undurchführbar oder technisch nicht ausgereift ab. Die Entwürfe des jungen Brunel verwarf er vor allem wegen ihrer großen Spannweite. Mit Verweis auf seine Menaibrücke erklärte er Spannweiten von mehr als 600 Fuß (182 m) für unrealistisch, denn Kettenbrücken mit größeren Öffnungen müssten bei einem Sturm unweigerlich zerstört werden. Vielleicht führten die Probleme seiner Menaibrücke mit Seitenwind zu dieser Einschätzung, die schon ganz kurz nach ihrer Eröffnung begannen. Nach seinem Vater war Telford nun schon der zweite erfahrene Baumeister der Brunel erklärte, die Cliftonschlucht könne nicht mit einer einzigen Spannweite überbrückt werden aber zum Glück ließ er sich nicht von seiner Idee abbringen.
Die Kommission konnte kaum anders als dem allseits geachteten Telford in seinem Urteil zu folgen und beendete den Wettbewerb ohne Sieger. Angeblich soll Brunel die Niederlage gegen Telford sportlich genommen und seinen Ärger mit einigen dicken Zigarren verraucht haben. In ihrer Not beauftragte die Kommission nun Telford selbst einen Entwurf für die Brücke vorzulegen. Das tat Telford im Januar 1830 auch, allerdings mit einem Ergebnis, dass seiner Reputation in Fachkreisen wie in der Öffentlichkeit nicht würdig war.
Weil er ja vor allem eine kürzere Spannweite gefordert hatte, musste er seine Pylone dichter zusammenrücken und wählte exakt das gleiche Maß wie bei seiner Menaibrücke. Dadurch standen sie aber nicht mehr auf den Klippen der Schlucht, sondern praktisch an deren Fuß. Die Pylone hatten somit eine gewaltige Höhe und ließen jede Ausgewogenheit der Proportionen vermissen. Außerdem waren sie in streng gotischem Stil gehalten, der eher an die Türme des Kölner Doms erinnerte und für die dramatische Schlucht des Avon völlig unpassend war. Als dieser bizarre Vorschlag in der Öffentlichkeit bekannt wurde, machte sich deutlicher Unmut breit. Dennoch tat sich die Kommission sehr schwer damit, Telfords Plan abzulehnen und schob als Begründung die enormen Kosten vor.
Um endlich voranzukommen wiederholte die Kommission den Wettbewerb im Oktober 1830 und gab diesmal den genauen Standort für die Brücke vor, der mit Telfords Entwurf identisch war. Telford beteiligte sich mit dem gleichen Plan wie zuvor, war aber nur einer der Konkurrenten und konnte diesmal nicht mehr als Experte auftreten. Auch der vom Ehrgeiz gepackte Brunel beteiligte sich wieder, überarbeitete seine Entwürfe aber im Sinne der gewünschten Vorgaben. Diesmal wurden 13 Vorschläge eingereicht, von denen fünf in die engere Wahl kamen, darunter auch die von Telford und Brunel.
Da die Brücke nur ein Haupt- aber keine Seitenfelder hat, braucht sie im Bereich der Rückhalteketten keine senkrechten Hänger © Bernd Nebel |
Brunel hatte die Spannweite seiner Brücke auf 600 Fuß reduziert, also das von Telford maximal für möglich gehaltene Maß. Dadurch rückten die Pylone aber in den Bereich der Abhänge und machten umfangreiche Mauerwerksarbeiten erforderlich. Hinsichtlich der Architektur versuchte er seinen Entwurf durch eine konsequente Gestaltung im damals beliebten ägyptischen Stil aufzupeppen. Die Pylone wollte er mit gußeisernen Platten verkleiden, auf denen die Geschichte des Brückenbaus dargestellt werden sollte. Das Ganze stellte er sich etwa wie die Wandmalereien an ägyptischen Tempeln in Philae oder Luxor vor. Höhepunkt seiner gestalterischen Pläne waren zwei Sphinxe, die auf jedem Pylon errichtet werden sollten.
Obwohl Davies Gilbert, der Vorsitzende der Kommission, Brunels Entwurf "jede gewünschte Stärke und Sicherheit" attestierte, landete dieser zunächst nur auf dem zweiten Platz. Gilbert suchte aber die direkt Aussprache mit Brunel und der schaffte es tatsächlich alle Zweifel zu zerstreuen. Schließlich empfahl Gilbert den Mitgliedern der Kommission Brunels Vorschlag und diese willigten ein. Im Frühjahr 1831 wurde Brunel zum Ingenieur der Brückenbaugesellschaft ernannt und mit den Bauarbeiten beauftragt.
Telfords Entwurf wurde wiederum mit Verweis auf die hohen Kosten zurückgewiesen, die in einem deutlichen Missverhältnis zum Kapital der Gesellschaft standen. Die historischen Quellen geben keinerlei Auskunft darüber, wie der "große" Telford diese Niederlage aufnahm. Sicherlich hatte er nach der ersten Ablehnung seiner gotischen Türme nicht mehr allzu viel Energie in dieses Projekt gesteckt und nahm für den zweiten Wettbewerb offenbar keinerlei Verbesserungen daran vor. Vielleicht fühlte er sich in seiner Ehre gekränkt und wollte sich nur noch mit Anstand aus der Affäre ziehen. Auf jeden Fall endet seine Beteiligung hier, und sein Name taucht in der weiteren Chronik der Brücke nicht mehr auf.
Der östliche Pylon bei Clifton konnte direkt auf dem Felsen gegründet werden © Bernd Nebel |
Die Brücke war Isambard Kingdom Brunels erstes eigenes Projekt und er stürzte sich voller Tatendrang in die Vorbereitungen. Allerdings kam die Spendenaktion für die Brücke nicht so richtig in Schwung und die Finanzierung der Brücke stand weiter auf tönernen Füßen. Das war aber nicht der einzige Grund, warum die Bauarbeiten erst fünf Jahre später begannen.
Im Oktober 1831 beschloss das House of Lords eine Sozialreform, die in weiten Teilen Großbritanniens zu bürgerkriegsähnlichen Aufständen führte. Auch in Bristol kam es zu tagelangen Krawallen, in die auch Brunel verwickelt wurde. Im Verlauf der Auseinandersetzungen wurde er sogar als Sonderpolizist vereidigt, um bei der Wiederherstellung von Recht und Ordnung zu helfen. Die "Bristol riots" hinterließen schlimme Verwüstungen, vor allem durch Brände, die auch finanzielle Folgen für die Stadt hatten. Als Konsequenz zogen die Stadtväter ihre Unterstützung für den Brückenbau zurück. Damit war die Finanzierung komplett zusammengebrochen und alle Bauarbeiten wurden vorerst gestoppt.
Brunel wandte sich nun anderen Projekten zu, vor allem dem aufstrebenden Eisenbahnwesen. 1832 wurde er zum Ingenieur der Bristol Railway Company ernannt, die schon bald in "Great Western Railway" umbenannt wurde und die es sich zur Aufgabe machte, eine Eisenbahnlinie zwischen Bristol und London zu bauen. Das war die bis dahin längste Eisenbahnstrecke Großbritanniens und Brunel war durch diese Aufgabe nun für viele Jahre gebunden. Dabei verlor er aber nie die Cliftonbrücke aus dem Auge, die im Laufe der Zeit zu seinem Lieblingsprojekt wurde.
Kleine Anekdote am Rande:
Isambard Kingdom Brunel galt schon bei seinen Zeitgenossen als außergewöhnlich energisch und wagemutig. Folgende Geschichte vom Bau der Cliftonbrücke unterstreicht dies: Um die Bauarbeiten zu erleichtern, wurde einige Tage vor der Grundsteinlegung ein 1000 Fuß langes und 1,5 Inch starkes Eisenkabel über der Avonschlucht gespannt. An diesem Kabel war mittels einer Rollvorrichtung ein Korb aufgehängt, der an einem Seil hin- und hergezogen werden konnte. Bis zu zwei Personen gleichzeitig konnten so von einer Seite der Schlucht auf die andere gelangen. Eigentlich war vorgesehen, dass Brunel mit seiner Frau die erste nicht ganz ungefährliche Fahrt mit dem sonderbaren Transportmittel machen sollte. Ihm kam aber einer seiner Mitarbeiter zuvor und unternahm (ohne Absprache) die erste Fahrt mit dem Korb. Dabei blieb er etwa in der Mitte der Schlucht an einem Knick im Kabel hängen und kam nicht weiter. Zu allem Unglück wurde das Seil mit dem er sich vorwärts ziehen konnte, vom Mast eines durchfahrenden Segelschiffes gekappt. Es dauerte daher einige Zeit, bis der Mann aus seiner misslichen Lage befreit werden konnte. Ein ähnlicher Unfall mit der Seilbahn passierte später auch Brunel, als er allein im Korb war und dieser sich erneut verklemmte. Daraufhin kletterte er ohne jegliche Sicherung aus dem Korb auf das Kabel, das sich immerhin in einer Höhe von etwa 70 m über dem Avon befand. Er löste den Mechanismus, kletterte in den Korb zurück und erreichte sicher den gegenüberliegenden Rand der Schlucht. |
Erst 1836 hatte sich das Kapital der Treuhandgesellschaft so weit konsolidiert, dass mit den Bauarbeiten begonnen werden konnte. Am 27. August 1836 wurde der Grundstein für das Fundament auf der Leigh Woods Seite gelegt. Der darauf stehende gewaltige Sockel auf dem dann der Pylon aufgebaut wurde, war einer der größten Kostenfaktoren des ganzen Projektes. Dieser massive Steinaufbau wurde umso höher, je dichter die Pylone zusammen stehen würden. Brunel hatte ja ursprünglich eine viel größere Spannweite vorgesehen, bei der kaum Mauerarbeiten erforderlich gewesen wären. Wegen der Kosten, aber auch wegen des optischen Eindrucks, änderte Brunel mit Einverständnis der Gesellschaft seine Pläne noch einmal und vergrößerte die freie Spannweite zwischen den Pfeilern auf 627 Fuß (191,10 m).1 Trotzdem hat der Mauersockel auf der Leigh Woods Seite noch eine Höhe von fast 34 m, von dem sich dann der 26 m hohe Pylon erhebt.
Die Steinarbeiten an den Sockeln und den Pylonen zogen sich bis 1840 hin. In der Zwischenzeit waren auch schon die Ketten in Auftrag gegeben worden, als es zu einem neuerlichen Baustopp kam. Wieder ging es um die Finanzierung, aber diesmal gab es auch noch ein technisches Problem mit den Pfeilersockeln. In der Literatur wird auf dieses Problem, das offenbar zu einer weiteren Kostenexplosion führte, nicht näher eingegangen. In der ersten Biografie Brunels (die sein ältester Sohn verfasste) wird die Schuld an den Schwierigkeiten jedenfalls den beteiligten Baufirmen zugeschrieben.
Wie dem auch sei, jedenfalls war 1843 das komplette Kapital in Höhe von 45.000 £ aufgebraucht. Es fehlten aber noch die Hälfte der bestellten Eisenarbeiten, die Aufhängung der Ketten, die Montage des Brückendecks und die ägyptischen Verzierungen, die allein schon auf 4.000 £ geschätzt wurden. Insgesamt fehlten etwa 30.000 £, die trotz größter Anstrengungen nicht aufzutreiben waren.
Wieder wurden alle Arbeiten eingestellt und die Pylone standen fast 20 Jahre als Bauruine über der Schlucht. Als 1853 immer noch keine Lösung für die finanziellen Probleme absehbar war, beschloss die Brückenbaugesellschaft das ganze Vorhaben endgültig einzustellen. Man löste alle Verträge, verkaufte die fertig gestellten Ketten und hob die Stiftung auf. Brunel soll darüber maßlos enttäuscht gewesen sein, obwohl ihm die Ketten dabei halfen ein anderes Projekt voranzutreiben, denn sie wurden beim Bau seiner Royal Albert Bridge in Saltash verwendet.
Die lateinische Inschrift heißt etwa so viel wie: "Ein hängender Weg, mit Schwierig- keiten errichtet". An den Außenseiten der Ketten befindet sich ein Beleuchtungssystem. © Barbara Kellner |
In den Jahren bis zu seinem Tod (1859) setzte sich Brunel immer wieder für Fortsetzung der Bauarbeiten er. Er machte auch mehrere Vorschläge zur Reduzierung der Kosten, erlebte die Fertigstellung seiner Brücke aber doch nicht mehr.
Unmittelbar nach seinem Tod beschlossen einige Freunde und Berufskollegen von der Institution of Civil Engineers unter ihrem Vorsitzenden John Locke, die Arbeiten an der Brücke wieder aufzunehmen und das Bauwerk zu vollenden. Die Brücke sollte einerseits ein Denkmal für ihren alten Freund Brunel sein und andererseits die "Verleumdungen gegen den talentiertesten Ingenieur des Landes ein für allemal beenden"2
Erneut wurde eine Brückenbaugesellschaft gegründet und eine Kampagne zur Finanzierung der restlichen Arbeiten gestartet. Als zuständige Ingenieure wurden John Hawkshaw und William Henry Barlow benannt. Sekretär der Gesellschaft wurde Brunels alter Freund Christopher Claxton. Weil die Vollendung der Brücke diesmal nicht an der Finanzierung scheitern sollte, nahm man einige entscheidende Veränderungen vor. Zunächst verabschiedete man sich von der ursprünglichen Vorgabe des Stiftungsgründers William Vick und beschloss einen Teil der Kosten durch Mauteinnahmen zu decken. Außerdem wurde die gesamte, sicherlich auch etwas überladene, ägyptische Verzierung weggelassen. Und noch ein dritter Faktor drückte die Kosten entscheidend: der zufällig zeitgleiche Abbruch der Hungerford Bridge in London. Die Kettenbrücke über die Themse war 1845 von Brunel fertiggestellt worden, aber nun wurde eine neue Eisenbahnlinie gebaut und machte genau an dieser Stelle eine viel stärkere Brücke erforderlich.
Der Träger ist erstaunlich steif. Dazu tragen vor allem die schweren Ketten, das hohe Eisenprofil unterhalb der Ketten, das Geländer und die kreuzweisen Verstrebungen unter der Fahrbahn bei. © Barbara Kellner |
Die Gesellschaft konnte die Ketten der Hungerfordbrücke zu einem Schnäppchenpreis erwerben und außerdem die Cliftonbrücke dadurch noch etwas "Brunel-authentischer" gestalten. Allerdings war die Hungerfordbrücke kleiner und ausschließlich für Personenverkehr gebaut worden. Daher bestanden ihre Ketten nur aus zwei übereinander liegenden Reihen mit jeweils zehn Flacheisenketten. Für die Cliftonbrücke war das nicht ausreichend und es musste eine dritte Kettenreihe in Auftrag gegeben werden.
Die Bauarbeiten wurden nun ohne weitere Unterbrechungen vorangetrieben und vier Jahre später beendet. Am 18.12.1864, über 28 Jahre nach der Grundsteinlegung, wurde die Brücke mit großem Pomp und unter reger Anteilnahme der Bevölkerung eingeweiht.
Die Gestaltung der Brücke durchbricht den häufig angestrebten Grundsatz der Symmetrie gleich in mehreren Punkten. Da sind zunächst einmal die in ihrer Größe sehr unterschiedlichen Sockel für die Pylone. Aber auch die Türme gleichen sich nicht wie ein Ei dem anderen. Auf der Clifton-Seite hat der Pylon in der Seitenansicht zwei schmale fensterförmige Aussparungen, die auf der Leigh Woods Seite fehlen. Der Pylon auf der Clifton-Seite ist etwa ein Meter höher als sein Gegenüber, wodurch das Brückendeck ein leichtes Gefälle Richtung Leigh Woods hat. Brunel hielt die Neigung für erforderlich, weil die Felsen bei Clifton steil abfallen, während sie auf der anderen Seite flacher geneigt sind. Er war der Meinung, dass die Brücke für den Betrachter ohne das Gefälle optisch in Richtung Clifton stürzen würde.
Die Verankerung der Ketten im Fels. Oben rechts einer der Landsättel, mit denen die Zugkräfte der Ketten in die Ankerkammer umgeleitet werden. Die Sättel in den Pylonspitzen sehen ähnlich aus.
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Brunel wollte eigentlich nur eine Kettenreihe pro Seite, um das Problem ungleicher Lastverteilungen auf mehrere Kettenreihen zu umgehen. Außerdem sollten die Kettenglieder möglichst lang sein, um die Anzahl der Verbindungsstellen zu minimieren. Im ersten Punkt wurde er aber von Davies Gilbert überzeugt, zwei Kettenreihen pro Seite vorzusehen. Eine Meinungsverschiedenheit gab es auch bei der Frage, wie groß der Abstand zwischen dem tiefsten Punkt der Kette und der Fahrbahn sein sollte. Gilbert wollte aus gestalterischen Gründen einen größeren Abstand, aber hier setzte sich Brunel mit seiner Variante von nur einem Meter durch, weil ein größerer Zwischenraum auch höhere Pylone bedingt hätte. Außerdem wollte er durch die kürzeren Zugstangen auch die Schwingungen in den Ketten verringern.
Ein wesentlicher Dimensionierungsansatz für eine Hängebrücke ist das Verhältnis zwischen der Spannweite und dem Abstand zwischen Pylonspitze und dem tiefstem Punkt der Kette (Pfeilhöhe). Je "flacher" die Kette ist, umso größer sind die Zugspannungen in der Kette und in den Verankerungen, während "steilere" Ketten höhere Pylone erfordern. Telfords Menai Strait Bridge hatte ein Verhältnis von 1:13,5, während sich Brunel für 1:10 entschied. Dadurch mussten die Ketten nicht ganz so stark, die Pylone aber etwas höher werden.
Bei den technischen Details der Kette und deren Verankerung orientierte er sich weitgehend an Telfords Menaibrücke. Die Verankerung im Gestein geschah ganz ähnlich, nämlich durch das Bohren tiefer Tunnel und das Einbringen von quergestellten gusseisernen Platten, mit denen die Enden der Ketten verbunden wurden. Auch den Durchgang der Ketten durch die Pylonspitzen wollte Brunel zunächst genauso gestalten wie bei der Menaibrücke, nämlich durch fest eingebaute gusseiserne Sättel. Hier änderte er seine Pläne aber noch einmal, zugunsten von beweglichen Rollsätteln, so wie sie sein Vater bei den Brücken auf La Réunion verwendet hatte. Auch die Landsättel, an denen die Ketten zur Verankerung im Fels umgelenkt werden, sind beweglich.
Vorsicht Linksverkehr! Die Mautstation bei Leigh Woods. Hier verschwinden die Ketten im Erdboden. © Bernd Nebel |
Clifton ist heute ein Teil von Bristol und die Brücke inzwischen das am häufigsten abgebildete Wahrzeichen der Stadt. Obwohl Brunel die Brücke nur für leichte Postkutschen und Fuhrwerke konzipiert hatte, hält sie heute im Schnitt 11.000 Kraftfahrzeugen stand. Auch wenn Barlow und Hawkshaw erhebliche Veränderungen am Design der Brücke vornahmen, ist sie letztendlich doch ein Werk Brunels.
Ihr Eigentümer ist noch heute der "Clifton Suspension Bridge Trust", der sie betreibt, für ihre Beleuchtung sorgt und liebevoll pflegt. Sie darf immer noch von Kraftfahrzeugen benutzt werden (allerdings nicht vom Schwerverkehr) und ist nach wie vor mautpflichtig. Jeder Autofahrer leistet mit der Gebühr von 50 Pence3 pro Querung einen wesentlichen Beitrag zur Unterhaltung der Brücke. Von den Einnahmen wird u.a. auch der Brückenwart bezahlt, der sich tagtaglich um das Bauwerk kümmert.
Beeindruckender als die Autofahrt -und außerdem kostenlos- ist allerdings ein Spaziergang über die Brücke. Aus der Nähe kann man alle Details am besten genießen: die wuchtigen Türme, die noch im Originalzustand vorhandenen Ketten und der Blick in die tiefe Avonschlucht. An den Pylonen wurden vor einigen Jahren Plaketten angebracht, auf denen die Geschichte der Brücke in Kurzform dargestellt wird.
Anlässlich Brunels 200. Geburtstag im Jahre 2006 bekam die Brücke ein neues Beleuchtungskonzept spendiert, bestehend aus unzähligen LED-Lämpchen. Seit 1998 betreibt der Bridge Trust in unmittelbarer Nähe der Brücke ein Informationszentrum, das sich mit der Geschichte der Brücke befasst und in dem Photografien, Modelle, Kunstwerke und interaktive Lernmittel ausgestellt werden.
1 Der Abstand zwischen den Mittelachsen der Pylone beträgt 702 Fuß (214 m).
2 Aus der Rede des Vorsitzenden Captain Mark Huish, anlässlich der ersten Sitzung der neuen Brückenbaugesellschaft am 2. August 1861.
3 im Juli 2011.