Auch: "Atatürkbrücke"
Offizieller Name seit Juli 2016: "Brücke der Märtyrer des 15. Juli"
© Holger Pfiffi
Istanbul ist die einzige Stadt der Welt, die auf zwei Kontinenten erbaut wurde. Ihr europäischer (westlicher) Teil wird nur durch den ca. 1 km breiten Bosporus vom asiatischen Teil der Stadt getrennt. Der Bosporus ist ein Fluss ohne Quelle, eigentlich nur ein Dammdurchbruch, der das nördlich gelegene Schwarze Meer mit dem Marmarameer im Süden verbindet. Durch die starken Zuflüsse in das Schwarze Meer (u.a. Donau, Don und Dnepr) entsteht hier ein Wasserüberschuss, der im Bosporus eine starke Oberströmung in Richtung Marmarameer erzeugt.
Der Traum, an diesem geschichtsträchtigen Ort eine Brücke über den Bosporus zu schlagen, ist schon sehr alt. Immer wieder standen sich Armeen an den beiden Uferseiten gegenüber und versuchten auf die eine oder andere Weise überzusetzen. So errichtete der persische Baumeister Mandrokles schon während seines Skytenfeldzuges im Jahre 513 v.Chr. eine Schiffsbrücke über den Bosporus. Später machten auch der Perserkönig Xerxes I sowie phönizische und ägyptische Feldherren Versuche, ihre Truppen trockenen Fußes an das andere Ufer zu bringen. Die mühsam errichteten Schiffsbrücken erwiesen sich jedoch als äußerst anfällig gegen die starke Strömung, Stürme und Treibholz sowie Sabotageakte der jeweiligen Kriegsgegner. Aber auch in friedlicheren Zeiten wurde der Ruf nach einer dauerhaften und ständig benutzbaren Bosporusbrücke immer lauter. Wegen der großen Breite des Meeresarmes blieb dieser Traum jedoch lange Zeit unerfüllbar.
Leonardo da Vincis Brückenentwurf für das Goldene Horn (1502) Paris Manuscript L, Folio 65v and 66r |
Im Jahre 1502 setzte sich Sultan Bejazid II Wali in den Kopf, die erste große Brücke Konstantinopels zu errichten und er suchte in seinem ganzen Reich nach einem Baumeister, der ihm diesen Wunsch erfüllen könnte. Die Brücke sollte aber nicht über den Bosporus führen, denn dieser war für die technischen Möglichkeiten der damaligen Zeit viel zu breit. Immerhin sollte aber das Goldene Horn überspannt werden, ein etwa 400 m breiter Nebenarm des Bosporus. Der Sultan fand bei seinen Untertanen jedoch niemanden, der ein solches Unternehmen wagen wollte. Sein Ruf nach einem mutigen Brückenbauer wurde aber sogar im fernen Italien vernommen, wo er dem Universalgenie Leonardo da Vinci zu Ohren kam. Leonardo schrieb in einem Brief an den Sultan:
"Ich, Euer Diener, habe vernommen, dass Ihr beabsichtigt habt, eine Brücke von Pera nach Konstantinopel zu errichten, dass Ihr sie aber nicht erbaut habt, weil sich dafür kein Fachmann fand. Mir aber ist es möglich, eine Brücke in der Weise zu entwerfen, dass unter ihr ein Schiff mit gespanntem Segel fahren kann."
Er fügte seinem Angebot Skizzen und Erläuterungen bei, aus denen die ganze Kühnheit seines Planes hervorging: er beabsichtigte das Goldene Horn mit einem einzigen, 250 m langen Bogen zu überspannen. Für die damalige Zeit ein unglaubliches Vorhaben. Der Sultan hielt Leonardo offenbar für einen Hochstapler und seinen Plan für undurchführbar. Bejazid scheint die Fähigkeiten Leonardo da Vincis aber weit unterschätzt zu haben, denn fast 500 Jahre später wurde die Brücke - im verkleinerten Maßstab - doch noch gebaut. In Ås/Norwegen wurde im Jahre 2001 eine exakt nach den Plänen Leonardo da Vincis gebaute Fußgängerbrücke im Maßstab 1:10 eingeweiht. Die ganz aus norwegischer Fichte bestehende "Leonardobrücke" hat eine Spannweite von 45 m. Aber auch rechnerisch wurde inzwischen mit Hilfe einer Statiksoftware nachgewiesen, dass Leonardos Brücke über das Goldene Horn grundsätzlich richtig geplant war. Leider ist nicht überliefert, wie Leonardo da Vinci sich den praktischen Bau der Brücke vorgestellt hat, der damals nur mit einem Lehrgerüst und Natursteinen möglich gewesen wäre.
Wie so häufig bei seinen Ideen, war das Universalgenie auch mit diesem Brückenentwurf seiner Zeit weit voraus, denn eine Bogenbrücke mit einer derartigen Spannweite Die Hell Gate Bridge in New York wurde unter der Leitung von Gustav Lindenthal errichtet. Sie führt über den East River und hat eine Spannweite von 298 m. wurde erstmals 1916 in den USA gebaut, allerdings aus Stahl. Da der Sultan Leonardos Entwurf abgelehnt hatte, dauerte es noch über 300 Jahre, bis die erste Brücke über das Goldene Horn gebaut werden konnte. Es handelte sich dabei um eine Holzbrücke, die 1845 durch die heute noch bestehende Galatabrücke Die Galatabrücke ist eine schwimmende Pontonbrücke, die inzwischen schon mehrmals komplett erneuert wurde. ersetzt wurde.
Für Brückenbauer blieb der mehr als doppelt so breite Bosporus aber weiterhin die größere Herausforderung und es sollte auch noch mehr als 100 Jahre dauern, bis die erste Bosporusbrücke gebaut wurde. An entsprechenden Vorschlägen fehlte es aber nicht. So erschien z.B. im Rahmen der Pariser Weltausstellung von 1867 eine Veröffentlichung, in der ein neues System für weit gespannte Eisenbahnbrücken vorgestellt wurde. Der Vorschlag kam von dem Direktor der priv. österreichischen Staatsbahnen, Karl von Ruppert, der als Beispiel u.a. einen Brückenentwurf für den Bosporus ausgearbeitet hatte. Der Entwurf erregte nicht nur wegen seiner Neuartigkeit großes Aufsehen, sondern auch, weil dadurch erstmalig die europäischen und die asiatischen Bahnlinien miteinander verbunden worden wären.
Ferdinand Arnodin: "Le Pont Abdoul Hamid" (1900). Jeder der drei Stützpfeiler sollte einen moscheeartigen Aufbau mit Kuppeln und Minaretten erhalten.
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Die Kombination von Hänge- und Bogenbrücke nahm gewisse Anleihen an der acht Jahre zuvor vollendeten Royal Albert Bridge Die über den Tamar führende Royal Albert Bridge hatte Isambard Kindom Brunel gebaut. Sie wird noch heute genutzt. in Saltash / Südengland. Rupperts Entwurf sah zwei Stützpfeiler im Bosporus vor, sodass die drei Spannweiten ca. 162 m - 206 m - 162 m betragen hätten. Inwieweit Rupperts Vorschlag von türkischer Seite für eine Ausführung tatsächlich in Betracht gezogen wurde, ist nicht bekannt. Jedenfalls kam der Vorschlag nicht über das Entwurfsstadium hinaus und es scheint auch nie eine Eisenbahnbrücke nach dem System Rupperts gebaut worden zu sein.
Einen weiteren Vorschlag für eine Eisenbahnbrücke über den Bosporus legte der Franzose Ferdinand Arnodin im Jahr 1900 im Rahmen der Planungen für die Bagdadbahn vor. Arnodins umfassendes Verkehrskonzept für Istanbul ging aber noch weiter und enthielt außerdem auch eine Schwebefähre für den Straßenverkehr. Arnodin war ein international anerkannter Spezialist für Schwebefähren, an deren Bau er u.a. in Portugalete (Spanien), Marseille und Bordeaux (Frankreich) sowie Newport (Wales), beteiligt war. Arnodins Eisenbahnbrücke sollte aus vier Hauptfeldern bestehen, sodass man drei massive Stützpfeiler auf dem Grunde des Bosporus hätte verankern müssen. Im Übrigen enthielt Arnodins Vorschlag ein fachwerkartiges Tragwerk mit parabelförmigem Obergurt, das oberhalb des Trägers angeordnet werden sollte. Der Entwurf wirkt aus heutiger Sicht eher kurios, weil die drei wuchtigen Pfeiler durch moscheeartige Aufbauten mit Kuppeln und Minaretten verziert werden sollten. Auch Arnodins Projekt scheint nie in die Nähe der praktischen Ausführung gelangt zu sein.
Weitere 50 Jahre später legte die Fa. Krupp aus Essen gemeinsam mit dem Architekten Paul Bonatz, der zu dieser Zeit einen Lehrstuhl an der Universität in Istanbul hatte, einen Entwurf für eine Hängebrücke über den Bosporus vor. Es war der erste Vorschlag, der keine Stützpfeiler im Wasser vorsah, sondern dessen Träger mit einer Spannweite von über 1.000 m von Ufer zu Ufer reichen sollte. Ein weiteres Hängebrückenprojekt kam nur wenige Jahre später aus dem Büro des renommierten Brückenbauers David B. Steinman. Aber auch dessen Vorschlag, der eine Hauptspannweite von 675 m vorsah, verschwand wieder in den Schubladen.
Etwas völlig Neuartiges kam 1958 wiederum aus Deutschland: der Ingenieur und Betonvirtuose Ulrich Finsterwalder entwarf gemeinsam mit dem Architekten Gerd Lohmer eine sogenannte Spannbandbrücke. Sie sollte zwei Stützpfeiler erhalten, wobei für das zentrale Feld eine Spannweite von 409 m und für die beiden Nebenfelder jeweils 395 m vorgesehen waren. Dieser Entwurf für den inzwischen kaum noch mit Fähren zu bewältigenden Straßenverkehr war der erste, bei dem ausschließlich Stahlbeton verwendet werden sollte.
Eine Spannbandbrücke beruht auf dem gleichen Grundgedanken wie eine Hängebrücke, wobei jedoch die Fahrbahn direkt auf den Tragseilen liegt. Das System ist eigentlich uralt, denn es entspricht den ersten von Missionaren in China entdeckten Kettenbrücken, bei denen der Gehweg ebenfalls direkt auf den Ketten lag. Die bei einer Hängebrücke parabelförmig über die Pylonen laufenden Stahlkabel liegen bei einer Spannbandbrücke im Fahrbahnträger und sind von Beton umschlossen. Man könnte also auch sagen, dass eine Spannbandbrücke eine Hängebrücke ist, bei der die Höhe der Pylonen gleich Null ist. Die erforderliche Tragfähigkeit der Kabel kann auf eine größere Zahl von Einzelsträngen verteilt werden, was sehr schlanke Fahrbahnträger Bei Finsterwalders Bosporusbrücke sollte der Träger nur ca. 30 cm hoch werden. ermöglicht. Wie bei einer Hängebrücke müssen die Kabel auf beiden Uferseiten fest verankert werden. Im optimalen Fall steht auf beiden Seiten der Brücke dafür der natürliche Fels zur Verfügung. Wenn dies nicht der Fall ist, muss eine künstliche Verankerung der Tragseile durch sogenannte Ankerblöcke hergestellt werden. Bei einer Spannbandbrücke müssen die Kabel sehr stark vorgespannt werden, damit es in den Feldern zu einem möglichst geringen Durchhang kommt.
Finsterwalders Spannband-Projekt wirkt ausgesprochen schlank und ästhetisch, wenn auch die Stützpfeiler vergleichsweise wuchtig ausfielen. Mit dem in allen Details ausgearbeiteten Entwurf reisten Finsterwalter und Lohmer Ende der 50er Jahre in die Türkei, um Ministerpräsident Adnan Menderes die Pläne persönlich vorzustellen. Obwohl die Regierung Menderes den Bau einer Bosporusbrücke bereits 1957 grundsätzlich beschlossen hatte, kam es zunächst weder zu einer Zusage noch zu einer endgültigen Ablehnung des Projektes. Als das türkische Militär im Mai 1960 einen Putsch unternahm, wurde Menderes gestürzt und schließlich hingerichtet. Nun war für mehrere Jahre an Großprojekte wie den Bau der Bosporusbrücke nicht mehr zu denken.
Es dauerte fast zehn Jahre, bis die neue Regierung unter Ministerpräsident Demirel das Vorhaben wieder auf die politische Agenda setzte. Inzwischen hatte der Autoverkehr so stark zugenommen, dass die Zustände auf den Tag und Nacht verkehrenden Fähren unhaltbar waren. Ein internationaler Ideenwettbewerb wurde ausgeschrieben, aus dem ein Hängebrückenentwurf des renommierten britischen Ingenieurbüros 'Freeman Fox & Partners' als Sieger hervorging.
Die Erste Bosporusbrücke kurz vor ihrer Vollendung.
© HOCHTIEF |
Der erfolgreiche Entwurf orientierte sich in mancherlei Hinsicht an der soeben freigegebenen Ersten Severnbrücke, Zwischen England und Wales. Bei ihrer Fertigstellung (1968) war sie eine der größten Brücken der Welt. die ebenfalls aus dem Hause Freeman, Fox & Partners stammte. Die Severnbrücke verfügte über zwei Neuerungen, die bei der Bosporusbrücke wiederholt wurden: der flache, windschnittige Fahrbahnträger und die schräg geneigten Hängekabel.
Am 20. Februar 1970 fand die von zahlreichen Zuschauern gefeierte Grundsteinlegung durch Ministerpräsident Demirel statt. Den Zuschlag für den größten Teil der Bauarbeiten hatten britische und deutsche Firmen erhalten, wobei die Fa. HOCHTIEF die Federführung bei der Ausführung des Tragwerks übernahm. Durch die Auswahl des Standortes und die Spannweite von über 1.000 m konnten auf beiden Uferseiten Wassergründungen vermieden werden, sodass man zügig an die Errichtung der Pfeiler kam. Die portalartigen Pylonen bestehen jeweils aus zwei 165 m hohen Stielen, die durch drei Querriegel miteinander verbunden sind: zwei oberhalb des Fahrbahnträgers und einer darunter. Wie alle wesentlichen Teile der Brücke bestehen auch die Pylonen vollständig aus Stahl.
Die Herstellung der 58 cm starken Tragkabel erfolgte nach dem bewährten Luftspinnverfahren von Johann August Röbling. Anschließend wurde der Fahrbahnträger abschnittsweise an den Hauptkabeln aufgehängt. Die diagonal angeordneten Hängekabel erscheinen in der Frontalansicht zick-zack-förmig. Sie waren in den Siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts eine Spezialität des Büros Freeman, Fox & Partners und sollten für eine größere Steifigkeit des Tragwerks sorgen. Neben der schon erwähnten Severnbridge wurden diagonale Aufhängungen auch bei der Humberbridge in England ausgeführt, beides Planungen aus dem Hause Freeman/Fox. Letztendlich hat sich diese Art der Aufhängung aber nicht durchgesetzt und führte beim Bau der Bosporusbrücke sogar zu einigen Schwierigkeiten. Durch die horizontale Kraftkomponente aus den diagonalen Hängern, kam es an den zunächst nur provisorisch verschweißten Verbindungsstellen zwischen den einzelnen Trägerabschnitten zu Beschädigungen.
Der 28 m breite, aber nur ca. drei m hohe Querschnitt verkörperte den neuen, modernen Typ der Fahrbahnträger. Er besteht aus 60 hohlen Stahlsegmenten, die mit Lastschiffen einzeln zur Baustelle transportiert wurden. Hier wurden sie mit einem Kran nach oben gezogen und am Nachbarabschnitt fixiert. Die Hebevorrichtung war mit Laufrädern ausgestattet und konnte so auf den Hauptkabeln hin- und herfahren. Vor dem Bau der Severnbrücke hatte man bei großen Hängebrücken einen Fachwerk-Versteifungsträger für unverzichtbar gehalten. Ein Umdenken setzte durch die Erfahrungen bei der Tacoma Narrows Bridge ein, die einen solchen Versteifungsträger hatte und trotzdem eingestürzt war. Im Windkanal wurden nun neue Querschnitte getestet, die ähnlich wie die Tragfläche eines Flugzeuges geformt waren und bei der Severnbrücke erstmalig zum Einsatz kamen.
Die Seitenfelder hängen nicht an den Kabeln, sonder liegen auf Stützpfeilern auf.
© Inge Kanakaris-Wirtl |
Die Erste Bosporusbrücke hat eine Hauptspannweite von 1.074 m und war nach ihrer Vollendung damit die größte Brücke Europas und die viertgrößte der Welt. Eine weitere Besonderheit sind ihre seitlichen Nebenfelder, die nicht an den Kabeln aufgehängt wurden, sondern auf Stützen gelagert sind. Die Fahrbahn befindet sich 64 m über dem normalen Wasserstand des Bosporus und bot bei ihrer Fertigstellung auch den größten Schiffen und Flugzeugträger ausreichend Freiraum.
Die Bauarbeiten, an denen etwa 400 Fachkräfte und 35 Ingenieure beteiligt waren, konnten nach einer erstaunlich kurzen Bauzeit schon im Herbst 1973 zum Abschluss gebracht werden. Die Einweihungsfeier der 200 Millionen US-$ teuren Brücke fand am 29. Oktober 1973 statt, dem 50. Jahrestag der Ausrufung der türkischen Republik. Es war ein großes Ereignis für Istanbul, weil die Verkehrssituation in der Metropole schon so lange auf eine Entlastung gewartet hatte. Aber auch für die Türkei und ganz Europa ging damit ein Traum in Erfüllung, denn erstmals in der Geschichte des Brückenbaus waren zwei Kontinente miteinander verbunden worden und der europäische Teil Istanbuls war endlich mit dem großen Rest des Landes vereint.
Den Kraftfahrzeugen stehen auf der Ersten Bosporusbrücke sechs Spuren zur Verfügung, deren Fahrtrichtung an die jeweilige Verkehrssituation angepasst werden kann, sowie zwei Notfallspuren. In den ersten Jahren ihres Betriebes konnte die Brücke auch von Fußgängern und Radfahrern benutzt werden. Es gibt sogar Personenaufzüge in den Pylonen, die zwischen dem Bosporusufer und der Brückentafel verkehrten. Wegen der zahlreichen Selbstmordversuche sahen sich die Verantwortlichen aber schon nach vier Jahren genötigt, die Brücke für den Fußgängerverkehr zu sperren. Das ist sehr bedauerlich, denn ein Spaziergang von Europa nach Asien und umgekehrt war sicher ein großartiges Erlebnis. Die Benutzung der Brücke war vom ersten Betriebstage an Mautpflichtig und für den Betreiber sehr lukrativ. Die große Mautstation auf asiatischer Seite wurde aber inzwischen abgebaut. Die Zahlung der Gebühr ist heute nur noch über ein automatisches Erfassungssystem möglich.
Die Brücke hieß auch offiziell ursprünglich einfach nur Bosporus-Brücke oder auch 'Erste Brücke' (Birinci Köprüsü). Nach dem niedergeschlagenen Putschversuch im Juli 2016 wurde die Brücke jedoch umbenannt und trägt nun den etwas sperrigen Namen "Brücke der Märtyrer des 15. Juli".
Der schlanke Fahrbahnträger von unten
© Inge Kanakaris-Wirtl |
Schon kurze Zeit nach ihrer Eröffnung wurde deutlich, dass die neue Brücke allein die sich weiter zuspitzenden Verkehrsprobleme Istanbuls nicht bewältigen würde. Es dauerte daher nicht lange, bis mit den Planungen für eine zweite Bosporusüberquerung begonnen wurde, die nur 15 Jahre später (1988) in Betrieb genommen wurde. Die Fatih Sultan Mehmet Brücke ist ebenfalls eine Hängebrücke und hat mit 1.090 m eine nur geringfügig größere Spannweite. Sie wurde ebenfalls von Freeman Fox & Partners entworfen und gleicht der ersten Bosporusbrücke sehr stark. Der markanteste Unterschied besteht in den Aufhängungen, weil man bei der zweiten Brücke zur klassischen vertikalen Anordnung der Hänger zurückkehrte. Durch die Topografie der Ufer wurden bei der zweiten Brücke weniger hohe Pylonen benötigt. Die Pfeiler beginnen praktisch erst auf der Höhe des Trägers, während bei der Ersten Brücke die Fahrbahn im Bereich der Pylone schon knapp 60 m über dem Gelände liegt.
Trotz der Entlastung durch die Fatih Sultan Mehmet Brücke hat sich das Verkehrsaufkommen auf der Ersten Brücke von anfänglich 32.000 bis heute auf etwa 200.000 Fahrzeuge pro Tag erhöht. Und das, obwohl auch immer noch viele Fähren auf dem Bosporus verkehren. Die ständige Verkehrszunahme steht natürlich im direkten Zusammenhang mit der Bevölkerungsentwicklung Istanbuls. Betrug die Zahl ihrer Einwohner 1970 noch etwa 3 Millionen, so hat sie sich bis heute auf ca. 15 Millionen Menschen verfünffacht.
Da die beiden ersten Brücken mehr oder weniger im Stadtzentrum Istanbuls über den Bosporus führen, mussten alle Fahrzeuge durch dieses Nadelöhr, auch diejenigen, die gar nicht in die Stadt wollten. Und noch ein weiterer Aspekt machte schon bald den Bau einer dritten Bosporusbrücke erforderlich: es gab nämlich noch immer keine einzige Verbindung für die Eisenbahn über den Meeresarm. Alle europäischen und asiatischen Bahnlinien endeten auf den jeweiligen Uferseiten und sowohl Güter wie auch Fahrgäste mussten auf die eine andere Weise den Bosporus überqueren.
Abhilfe schaffte erst die Yavuz-Sultan-Selim-Brücke, die 2016 nördlich von Istanbul, etwa 3 km vor dem Schwarzen Meer, eröffnet wurde. Das unter Mitwirkung von Michel Virlogeux geplante Bauwerk ist eine Kombination von Eisenbahn- und Straßenbrücke. Virlogeux wollte einen sehr hohen Trägerquerschnitt vermeiden und ordnete daher die sechs Fahrspuren und die zweigleisige Hochgeschwindigkeitstrasse nebeneinander und nicht übereinander an. Dadurch wurde der Fahrbahnträger mit 59 m sehr breit. Das Tragsystem besteht aus einer Hängebrücke mit A-förmigen Pylonen, das aber durch Schrägseile verstärkt wird. Das gleiche Prinzip hatte auch Johann August Röbling schon beim Bau der Brooklyn Bridge angewendet.
Die zweite Bosporusbrücke (1988) wirkt auf den ersten Blick ganz ähnlich. Allerdings fällt auf, dass hier wieder vertikale Hänger verwendet wurden. © Inge Kanakaris-Wirtl |
Aber auch diese Brücke war noch nicht das letzte Verkehrsprojekt zur Querung des Bosporus, denn bereits 2004 wurde in Istanbul mit den Bauarbeiten für eine Untertunnelung des Meeresarmes begonnen. Die Eisenbahnunterführung sollte eigentlich schon 2008 fertig sein, aber es gab eine Vielzahl von Schwierigkeiten zu überwinden. So stieß man bei den Bauarbeiten auf die antiken Überreste des Hafens von Byzanz, die zunächst einmal archäologisch zu sichern waren. Die Inbetriebnahme des Tunnels konnte daher erst Ende 2018 erfolgen.
Die Zukunft wird zeigen, ob die bisherigen Maßnahmen ausreichen, um die Verkehrssituation in der weiterhin expandierenden Stadt dauerhaft zu entspannen.
Im Übrigen müssen alle Verkehrsprojekte über oder unter dem Bosporus mit der ständigen Gefahr von Erdbeben leben, denn Istanbul liegt sehr nah an der Grenze zwischen der anatolischen und der eurasischen Erdplatte. Erdstöße sind in der Region daher keine Seltenheit und führten in der Vergangenheit schon zu mehreren Katastrophen. So löste im Jahre 1509 ein gewaltiges Erdbeben im Marmarameer einen Tsunami aus, der große Teile Istanbuls zerstörte und über 10.000 Menschen das Leben kostete. Weitere Erdbeben sind im Prinzip nur eine Frage der Zeit und der jeweiligen Intensität. Doch die Ingenieure haben nach ihrer eigenen Überzeugung alles getan, um die Zerstörung der Verkehrsbauwerke durch solche Naturgewalten zu verhindern.
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