Die Brooklyn Bridge

ursprünglich: "East River Bridge" oder "New York & Brooklyn Bridge"

New York, USA


Blick vom Brooklyn Bridge Park nach Manhattan

Der Bau der ersten Brücke über den East River ist zweifellos eines der spannendsten Kapitel in der Geschichte des Brückenbaus. Er verlangte ungewöhnlichen Mut von ihren Baumeistern, denn sie betraten in vielen Bereichen technisches Neuland. Im Zentrum ihrer Baugeschichte steht das Schicksal der Familie Roebling aus Mühlhausen in Thüringen.

Der East River an der amerikanischen Ostküste ist eigentlich kein Fluss, sondern ein Meeresarm zwischen den Inseln Long Island und Manhattan. Auf Manhattan entwickelte sich New York City zu Beginn des 19. Jhd. allmählich zur größten Stadt der USA, während Brooklyn auf der anderen Seite des East River immer der 'kleine Bruder' blieb. New York hatte um 1800 erst 79.000 Einwohner aber 100 Jahre später waren es schon 3,5 Millionen.

Zwei so große Städte in unmittelbarer Nachbarschaft erzeugen viel Verkehr, für den der East River ein natürliches Hindernis bildete. Die Zahl der Fähren nahm daher ständig zu, obwohl sie nicht immer zuverlässig waren. Der New Yorker Winter kann sehr ungemütlich werden, und es gab immer wieder Zeiten, in denen die Fähren wegen Eisgang oder Sturm den Betrieb einstellten.


John A. Roebling aus Deutschland nimmt das Projekt in die Hand

Es war daher nur natürlich, dass man sich schon um 1800 erste Gedanken über eine Brücke machte. In technischer Hinsicht kam um diese Zeit eigentlich nur eine Steinbogenbrücke oder eine Holzbrücke in Betracht, aber der East River ist in diesem Bereich mehr als 600 m breit. Eine Brücke mit Zwischenpfeilern schied aus mehreren Gründen aus: zum Einen ist der East River sehr tief und zum Anderen gewann er auch zunehmend Bedeutung für die zivile und militärische Schifffahrt. Insbesondere die Kriegsmarine verlangte freie Durchfahrt auf der gesamten Flussbreite.

Wohl oder übel musste der Wunsch nach einer festen Brücke also noch für einige Jahrzehnte auf Eis gelegt werden. Aber als in Amerika und Europa die ersten großen Hängebrücken gebaut wurden, keimte wieder Hoffnung auf. In Fribourg / Schweiz war 1834 der Grand Pont Suspendu vollendet worden, eine Brücke über das Saanetal mit einer Spannweite von 273 m. In den USA hatte Charles Ellet 1849 die Wheeling Brücke errichtet, die nun mit 308 m Spannweite die größte Brücke der Welt war.

Im Juni 1857 ergriff ein Mann die Initiative, der diesen Traum eines fernen Tages verwirklichen sollte. Er schrieb einen Brief an Abram S. Hewitt, den damaligen Bürgermeister von New York, und erklärte ihm, dass eine Brücke über den East River durchaus realisierbar sei. Der Name dieses Mannes war John A. Roebling. Roebling hatte sich zwei Jahre vorher mit der Vollendung einer Hängebrücke über den Niagara, die sowohl für Pferdefuhrwerke als auch für die Eisenbahn bestimmt war, einen internationalen Ruf als Brückenspezialist erworben. Roebling wurde 1806 in Mühlhausen / Thüringen als Johann August Röbling geboren und studierte an der soeben gegründeten Akademie in Berlin das Baufach. Weil er in Deutschland keine Zukunft für sich sah, wanderte er - wie so Viele - 1831 nach Amerika aus. Von dem Tage an, an dem sein Fuß amerikanischen Boden betrat, identifizierte er sich voll und ganz mit seiner neuen Heimat. Er nannte sich fortan John A. Roebling und kehrte nie mehr nach Deutschland zurück.

Nach einem erfolglosen Versuch sich mit der Landwirtschaft durchzuschlagen, begann er wieder als Ingenieur zu arbeiten und gründete "nebenbei" eine der ersten Drahtseilfabriken der USA. Der wirtschaftliche Erfolg seiner gedrehten Drahtkabel schuf die finanzielle Basis, um sich seiner eigentlichen Bestimmung zuzuwenden, nämlich dem Bau weit gespannter Hängebrücken.


Der Bürgerkrieg wirft das Projekt zurück

Roeblings Brief an den Bürgermeister blieb aber zunächst ohne Wirkung, denn am Horizont zeichneten sich bereits die dunklen Wolken des bevorstehenden Bürgerkrieges ab. Die folgenden Jahre waren in Amerika von großen Unruhen geprägt, die ein solches Projekt zwangsläufig in den Hintergrund drängten. 1861 begann der Sezessionskrieg und 1865 wurde Präsident Lincoln ermordet. Nach dem auf beiden Seiten mit großer Härte geführten Krieg lag das Land wirtschaftlich und politisch am Boden.

Der ursprüngliche Entwurf der Türme von John A. Roebling
aus dem Jahre 1867. Bei der Ausführung verbreiterte
Washington aber die beiden Durchfahrtsöffnungen.

Umso erstaunlicher war daher, dass die East River Brücke sofort nach Beendigung des Krieges wieder in den Fokus rückte. Zwei Männer setzen sich besonders für das Projekt ein: William C. Kingsley und Henry C. Murphy. Kingsley war ein Unternehmer aus Brooklyn, der noch 1865 einen Ingenieur namens Julius Adams damit beauftragte, einen Plan einschließlich Kostenermittlung für die Brücke vorzulegen. Murphy war ein angesehener Jurist aus Brooklyn, der später unter Präsident Buchanan Senator wurde. Als Roebling davon erfuhr, legte er umgehend einen eigenen Entwurf vor und offensichtlich warfen noch weitere Ingenieure ihren Hut in den Ring.

Den letzten Anstoß für die politisch Verantwortlichen endlich tätig zu werden, gab der kalte Winter 1866/67. Der East River war für mehrere Wochen zugefroren und die Fähren stellten wieder einmal den Betrieb ein. Nun war man das Ärgernis endgültig leid und schon im folgenden Frühjahr wurde ein Gesetz zur Bildung einer Brückengesellschaft verabschiedet. In deren erster Sitzung wurde die Frage nach einem Chefingenieur für ein so schwieriges Projekt erörtert und John A. Roebling wurde spontan durch Zuruf vorgeschlagen. Zu diesem Zeitpunkt war Roebling gerade dabei die Hängebrücke in Cincinnati zu vollenden, die anschließend mit einer Spannweite von 322 m die größte Brücke der Welt war 1. Insofern war Roebling sicherlich der kompetenteste Mann, den man zu dieser Zeit für eine solch schwierige Aufgabe gewinnen konnte.

Roebling wurde zum Chefingenieur ernannt und sein Sohn Washington zu einem seiner Stellvertreter berufen. Washington hatte in Rensselaer "Civil Engineering" studiert und seinen Vater schon beim Bau der Cincinnati-Covington-Brücke tatkräftig unterstützt. Als Soldat hatte er am Bürgerkrieg teilgenommen und später Emiliy Warren geheiratet, die Schwester seines Generals.


Washington Roeblings Studienreise nach Europa

John war von Anfang an klar, dass der Schlüssel zum Erfolg die sichere Gründung der Pfeiler auf dem Grunde des East River sein würde. Eine Spannweite von über 600 m schien außerhalb aller Möglichkeiten und so mussten beide Pfeiler mehr oder weniger im offenen Wasser gegründet werden. In Europa waren zu diesem Zeitpunkt schon erste Erfolge mit Druckluftgründungen gelungen, aber in Amerika war das Verfahren weitgehend unbekannt. Im Juli 1867 schickte er Washington mit seiner jungen Frau auf eine kombinierte Hochzeits- und Studienreise nach Europa. Emily verbrachte die meiste Zeit in Mühlhausen, der Heimatstadt John A. Roeblings 2, aber Washington besuchte zahlreiche Brücken, Baustellen und Fabriken im In- und Ausland. Dabei informierte er sich in erster Linie über die europäischen Erfahrungen mit der Druckluftgründung und dem gerade entwickelten Bessemerstahl. Er besuchte Stahlfabriken in England, die Krupp-Werke in Essen und -diesmal in Begleitung seiner Frau- auch die Weltausstellung in Paris. Am 11. Februar 1868, kurz vor der Rückreise nach Amerika, hielt er einen Vortrag über den Bau der Cincinnati-Covington Bridge vor dem Verein für Eisenbahnkunde in Berlin.

Als Washington im Februar 1868 nach Amerika zurückkehrte, war er über den Stand der Vorbereitungsarbeiten überrascht. Sein Vater war nicht untätig gewesen und hatte die Entwürfe baureif ausgearbeitet sowie eine detaillierte Kostenermittlung aufgestellt. Außerdem hatte er weitere Assistenzingenieure eingestellt, darunter Wilhelm Hildenbrand aus Deutschland, der ihm half die vielen Zeichnungen anzufertigen.

Aber die politisch notwendigen Entscheidungen und die Freigabe der Geldmittel hinkten erheblich hinter den zügigen Bauvorbereitungen her. In Brooklyn war man sehr engagiert und unterstützte das Vorhaben nach Kräften. Der "Brooklyn Eagle" startete eine regelrechte Kampagne, um die Bevölkerung von den Vorzügen der Brücke zu überzeugen. Auf New Yorker Seite hingegen war die Stimmung eher unentschieden bis ablehnend. Die Betreiber der Fähren jammerten es würden Arbeitsplätze verloren gehen, das Kriegsministerium befürchtete den Einsturz der Brücke mit anschließender Blockade der Fahrrinne, und allgemein wurden die hohen Kosten sowie der unvermeidliche Abriss historischer Bausubstanz kritisiert.

Das Für und Wider wurde in den Zeitungen ausführlich diskutiert und die Stimmung kippte mal in die eine, mal in die andere Richtung. Um dem Ganzen ein Ende zu machen, ließ die Brückengesellschaft die Pläne Roeblings im Januar 1869 von einer technischen Kommission auf ihre Durchführbarkeit und Finanzierbarkeit hin überprüfen. Das Ergebnis fiel positiv aus und endlich unterschrieb Präsident Ulysses S. Grant das Ermächtigungsgesetz zum Bau der Brücke.


Der Tragödie erster Teil

Doch im Moment des größten Triumphes seiner Karriere ereignete sich das erste Unheil beim Bau der Brooklyn Bridge: John A. Roebling starb an Blutvergiftung, nachdem er sich eine Verletzung bei den Vermessungsarbeiten zuzogen hatte.

Wilhelm Hildenbrand (rechts) und Charles G. Roebling (1849-1918), ein Bruder
Washingtons, beim Zeichnen der Pläne für die Brooklyn Bridge.

John und Washington Roebling standen am 28. Juni 1869 an der Fähranlegestelle in Brooklyn und inspizierten den vorgesehenen Standort für den östlichen Brückenturm. Die beiden Ingenieure waren in ihre Arbeit vertieft, als eine Fähre etwas hart anlegte und das Fendergerüst unsanft eindrückte. Dabei wurde der rechte Fuß John A. Roeblings erfasst und mehrere seiner Zehen zerquetscht. Washington nahm ihn mit zu sich nach Hause und bestellte sofort einen Arzt, der die zertrümmerten Zehen amputieren musste. Eine Nachversorgung der Wunde lehnte John allerdings ab und verjagte alle Ärzte von seinem Krankenbett, die sein Sohn für ihn bestellt hatte.

John A. Roebling war einer der genialsten Brückenbauer aller Zeiten aber er war ganz sicher auch ein egozentrischer Sturkopf. Gerade in medizinischen Fragen hatte er einen ganz eigenen Standpunkt, der seiner Familie so Manches abverlangte. Im Laufe seines Lebens war er mehr und mehr zu einem überzeugten Anhänger der Wasserkuren nach Prießnitz und Kneipp geworden und lehnte sowohl Schulmediziner als auch Krankenhäuser kategorisch ab. Zum Leidwesen seiner Familie versuchte er auch seine Umgebung von den Naturheilverfahren zu überzeugen.

Er ließ sich eine Apparatur anfertigen, die seinen verletzten Fuß ständig mit fließendem Wasser umspülte. Weitere Behandlungen lehnte er unbelehrbar ab. Schließlich kapitulierten die Ärzte und prophezeiten ihm den sicheren Tod. Als sich infolge des Wundstarrkrampfes eine Kiefersperre einstellte, konnte er keine Nahrung mehr zu sich nehmen und verstarb am 22. Juli 1869.


Wer kann John A. Roebling ersetzen?


Die Bauarbeiten der mit Abstand größten Brücke der Welt hatten noch nicht einmal begonnen, und schon war ihr genialer Baumeister, der den Schlüssel für eine erfolgreiche Verwirklichung besaß, bei den Vorbereitungsarbeiten gestorben.

Für einige Wochen lähmte die Situation alle Beteiligten, aber dann entschloss sich die Brückengesellschaft das Projekt fortzusetzen. Als Nachfolger für die Position des Chefingenieurs kam eigentlich nur Washington Roebling infrage, denn er war ja schon als Stellvertreter nominiert und hatte als Einziger von Anfang an einen tieferen Einblick in die Entwürfe seines Vaters gehabt. Außerdem verfügte er über eine fundierte theoretische Ausbildung und hatte schließlich schon beim Bau der bis dahin größten Brücke der Welt entscheidend mitgewirkt.

Auf der anderen Seite fällt es schwer sich in die Lage von Washington Roebling zu versetzen: er war erst 32 Jahre alt und er wurde mit dem bedeutendsten und schwierigsten Bauwerk seiner Epoche betraut, dem sein Vater soeben als erster zum Opfer gefallen war. Dabei hatte er selbst noch nicht eine einzige Brücke eigenverantwortlich gebaut. Die weitere Geschichte sollte aber beweisen, dass Washington nicht nur die Durchsetzungsfähigkeit seines Vaters geerbt hatte, sondern selbst ein überaus genialer und kreativer Bauingenieur war.


Das Schwierigste zuerst: die Caissongründung

Die Suche nach dem besten Standort hatte viele Monate in Anspruch genommen und war in der Öffentlichkeit heftig diskutiert worden. Aber nun stand mit den Fundamenten für die beiden Türme gleich zu Beginn der Bauarbeiten eine der größten technischen Herausforderungen an. Die Bodensondierungen auf der Seite Brooklyns hatten tragfähigen Baugrund in einer Tiefe von 14 m ergeben. Auf New Yorker Seite waren es aber sogar 25 - 28 m, eine Tiefe in der noch nie unter Druckluft gearbeitet worden war.

Bei einer Caissongründung wird ein riesiger unten offener Kasten aus Holz oder Stahl an der Stelle des vorgesehenen Pfeilers abgesenkt. Sobald er die Flusssohle erreicht hat, wird der Arbeitsraum im Inneren der Kammer durch Einblasen von Druckluft wasserfrei gemacht. Nun können Arbeiter über eine Luftschleuse den Caisson betreten und den Innenraum von allem Material freiräumen. Gleichzeitig wird auf der Oberseite des Caissons das Mauerwerk für den Pfeiler Schicht um Schicht aufgebaut. Durch das zunehmende Gewicht und die gleichzeitig fortgesetzte Entfernung des Aushubs sinkt der Caisson immer tiefer, bis er tragfähigen Untergrund erreicht hat.

Die Arbeit im Caisson. Oben die Personenschleuse, die
Washington Roebling beim New York Caisson einsetzte. Dies
führte zu einem zermürbenden Rechtsstreit mit James Eads.

Den Bauunternehmen waren die unbekannten Risiken dieser Technik offensichtlich zu groß, denn niemand sah sich dazu in der Lage, die Kosten zu kalkulieren und ein Angebot einzureichen. Keine der Firmen hatte jemals eine Druckluftgründung ausgeführt und so war die Brückenbaugesellschaft gezwungen eigene Leute einzustellen und die Arbeiten selbst zu organisieren.

John A. Roebling hatte von Anfang an mit Holzcaissons geplant aber diese Entscheidung wurde von vielen Fachleuten kritisiert. In Europa waren alle Druckluftgründungen mit eisernen Caissons durchgeführt worden und auch Eads verwendete in St. Louis zur gleichen Zeit Stahlcaissons 3. Washington änderte zwar einige Details und verringerte die von seinem Vater veranschlagte Deckenstärke, blieb aber bei der Ausführung in Holz und verteidigte sie gegenüber den Kritikern.


Szenen wie aus Dantes "Hölle"

Der Stapellauf für den Brooklyn-Caisson fand am 19.03.1870 statt. Die meisten New Yorker nahmen dieses Ereignis als den eigentlichen Baubeginn wahr, und entsprechend zahlreich waren die Schaulustigen auf beiden Seiten des East River. Der Beginn der Arbeiten im Caisson war schwierig, weil man sich zunächst durch den Schlamm arbeiten musste und die Arbeiter 4 manchmal bis zur Hüfte im kalten Wasser standen. Als man tiefer kam, wurde der Arbeitsraum allmählich trockener. Allerdings stieß man nun auf Bodenschichten die sehr hart und nur mühsam zu entfernen waren, sich aber dennoch nicht als Baugrund für den schweren Turm eigneten.

Als man wöchentlich nur 15 cm an Tiefe gewann, sah sich Washington genötigt im Caisson zu sprengen. Auch das hatte vor ihm noch niemand gewagt und es gab keine Erfahrungen, wie sich die Druckwelle auf die komprimierte Luft auswirken würde. Roebling machte zunächst Versuche mit seiner Pistole und dann vorsichtige Testsprengungen mit immer größeren Ladungen. Die Sache funktionierte und anschließend gewann man immerhin 45 cm Tiefe pro Woche.

Obwohl sich Washington aus eigenem Interesse viele Gedanken um die Gesundheit seiner Arbeiter machte, waren die Bedingungen in einem solchen Caisson aus heutiger Sicht grauenhaft. Gestank und Lärm müssen zeitweise fürchterlich gewesen sein und viele Arbeiter litten unter den Folgen des Drucks. Auch die Sichtbedingungen waren schlecht, denn es gab noch kein elektrisches Licht 5 und man verwendete Gaslampen, Kalziumlichter und Kerzen. Die Innenwände und die Decken des Caissons hatte man weiß angestrichen, damit das Licht wenigstens etwas reflektierte.

Über die psychische Verfassung der Arbeiter ist wenig bekannt. Man kann sich aber gut vorstellen, dass es für die Männer nicht leicht war, sich jeden Tag aufs Neue den Bedingungen im Caisson auszusetzen. Man arbeitete viele Meter unter der Wasseroberfläche in einem stockdunklen stinkenden Sarg und wusste über sich das tonnenschwere Mauerwerk des Pfeilers, das einen jeden Moment zerquetschen konnte. Auch diverse Unfälle, Wassereinbrüche, plötzlicher Druckverlust usw. dürften nicht gerade zur guten Laune unter Tage beigetragen haben. Ein Reporter der New York Times, dem eine Exkursion in den Caisson gestattet wurde, beschrieb die Arbeitsbedingungen wie "Szenen aus Dantes Hölle"6.


Ein Feuer droht den Caisson zu zerstören

Im Dezember 1870, kurz vor Erreichen des tragfähigen Grundes, brach durch die Unachtsamkeit eines Arbeiters ein Feuer im Brooklyn Caisson aus. Zur Abdichtung der Fugen zwischen den Holzplanken hatte man sie nach seemännischer Art kalfatert, d.h. sie waren mit teergetränktem Werg zugestopft worden. Natürlich war das Material durch den Teer leichtentzündlich. Durch eine Unachtsamkeit wurde die Decke des Caissons mit einer Kerze in Brand gesetzt und die komprimierte Luft drückte das Feuer sofort in die meterdicken Holzschichten. Es folgten dramatische Stunden im Caisson, denn trotz größter Anstrengungen gelang es zunächst nicht, das Feuer vollständig zu löschen. Durch Bohrungen stellte man eine zunehmende Ausbreitung der Glutnester fest und schließlich sah Roebling sich genötigt, den ganzen Caisson zu fluten.

Während der verzweifelten Löschversuche hielt sich Washington Roebling zum ersten Mal viel zu lange in der Überdruckatmosphäre des Caissons auf und musste bewusstlos ans Tageslicht getragen werden.

Man beließ das Wasser zwei Tage im Caisson, bevor der Druck langsam wieder aufgebaut wurde. Der Brand war zwar gelöscht, aber nun zeigte sich das ganze Ausmaß der Zerstörung. Viele Holzschichten waren verbrannt und es kam einer Sisyphusarbeit gleich, die Schäden mit frischem Holz zu reparieren. Zwei Wochen nach dem Brand erreichte der Caisson seine endgültige Tiefe und konnte anschließend komplett mit Beton verfüllt werden.

Im Hintergrund die fertiggestellten Türme, in der Mitte der
Ankerblock auf New Yorker Seite. Vorn werden Gebäude
für die Zufahrten abgerissen, was für viel Unmut sorgte.

Das erste der beiden Fundamente war nun fertiggestellt aber der kompliziertere Teil der Gründung stand noch bevor. Der Stapellauf für den New York Caisson fand am 8. Mai 1871 statt, diesmal ohne öffentliche Zeremonie. Weil der Turm durch die größere Gründungstiefe insgesamt höher und damit auch schwerer werden würde, bauten die Zimmerleute ihn noch solider. Er hatte eine Grundfläche von 52,5 x 31 m (1597 m²) und die Stärke seiner Decke betrug 6,70 m. Der Turm auf New Yorker Seite befindet sich über 120 m vom Ufer entfernt und so musste zunächst ein Pier gebaut werden. Aus dem Brand im ersten Caisson hatte Roebling die Lehren gezogen und ließ die Innenwände diesmal komplett mit Eisenblechen verkleiden.


Die geheimnisvolle "Caissonkrankheit"

Nachdem man sich durch allerlei übel stinkenden Abfall und Treibsand gegraben hatte, gingen die Arbeiten zunächst rascher voran als in Brooklyn. Mit zunehmender Tiefe wurden die Folgen des steigenden Überdrucks aber unübersehbar. Damit der Caisson trocken bleibt, muss der Druck in seinem Inneren mindestens so groß sein wie der Wasserdruck außen. Der Wasserdruck steigt mit der Tiefe linear an und deshalb muss auch der Überdruck im Caisson entsprechend erhöht werden. Der menschliche Organismus verkraftet Überdruck aber nur bis zu einer bestimmten Grenze, von der man damals nicht genau wusste wo sie liegt. Der gefährlichste Moment für die Arbeiter war allerdings die Rückkehr an die Oberfläche, weil der plötzliche Druckunterschied zu erheblichen Verletzungen, bis hin zum Tode führen kann.

Die Tiefe des New Yorker Caisson übertraf alles, was man in dieser Hinsicht vorher gewagt hatte und viele Arbeiter litten unter den Bedingungen. Im Laufe weniger Wochen mussten sich 110 Arbeiter wegen der Folgen des Überdrucks behandeln lassen und drei von ihnen starben sogar. Die Ursachen für die gesundheitlichen Probleme und wie man ihnen begegnen kann, waren damals weitgehend unbekannt.7 Mit zunehmender Tiefe verringerte Roebling die Länge der Arbeitsschichten und sorgte für ausreichende Erholung der Männer. Durch eigene Beobachtung hatte man gelernt, dass ein langsamer Druckanstieg nach Ende der Schicht die Symptome deutlich verringerte.

Ein Arzt stellte aufgrund der Erfahrungen eine Liste mit Verhaltensregeln für die Caissonarbeiter auf. Danach nahm die Zahl der Verletzten deutlich ab aber einer hielt sich offensichtlich nicht an diese Regeln, nämlich der Chefingenieur selbst. Im Frühsommer 1872 war Roebling wieder einmal viel zu lange in der Druckluft geblieben und brach im Caisson bewusstlos zusammen. Einige Tage später hatte er sich wieder so weit erholt, dass er an die Arbeit zurückkehren konnte. Doch dann folgte ein erneuter Zusammenbruch, der ihn beinahe das Leben kostete und für immer an den Rollstuhl fesselte.

Washington Roebling litt von nun an unter Lähmungen, ständigen Gliederschmerzen und erheblichen Beeinträchtigungen des gesamten Nervensystems. Anfangs konnte er nicht mehr sprechen und nur unter Aufbietung sämtlicher Kräfte einer Unterhaltung folgen. Er kehrte nie mehr zur Baustelle zurück aber die Bauarbeiten liefen zunächst routinemäßig weiter. Als Roebling im New York Caisson zusammengebrochen war, hatte dieser gerade seine endgültige Tiefe von knapp 24 m unter der Wasseroberfläche erreicht. Der Caisson wurde mit Beton verfüllt und die restliche Zeit bis zur Winterpause für die Vollendung des Turmes genutzt.


Emily Roebling wird zur Heldin der Brooklyn Bridge

Soweit es ihm gesundheitlich möglich war, fertigte Roebling über den Winter 1873/74 so viele Anweisungen, Beschreibungen und Skizzen für die Bauarbeiten an, wie er nur konnte. Aber schon nach kurzer Zeit musste er immer wieder Pausen einlegen und sich ausruhen. Zudem litt er unter niederschmetternden Depressionen, weil sein Körper ihm den Dienst versagte, während er die größte Aufgabe seines Lebens zu bewältigen hatte. In dieser Situation ließ er niemanden mehr in seine Nähe, mit Ausnahme seiner Frau, die immer mehr zu seiner einzigen Vertrauten, Beraterin und Koordinatorin auf der Baustelle wurde.

Die Hoffnung auf eine baldige Besserung seines gesundheitlichen Zustandes wurde immer schwächer und schließlich empfahlen die Ärzte einen Ortswechsel mit Bäderkur. Die Wahl fiel auf Wiesbaden und im April 1873 reiste die Familie Roebling, begleitet von einem Krankenpfleger und Washingtons Bruder Edmund, mit dem Dampfschiff über Liverpool nach Deutschland.

Der Kuraufenthalt war für höchstens vier Monate geplant, doch Roebling blieb bis Oktober 1873, letztlich aber ohne den erhofften Erfolg. Er blieb an den Rollstuhl gefesselt und hatte immer wieder Schwächeanfälle, die ihm ein konzentriertes Arbeiten, eine Teilnahme an den Sitzungen der Brückengesellschaft oder gar einen Besuch der Baustelle unmöglich machten. Nach der Rückkehr aus Europa wurde Emily die entscheidende Person zur Fortsetzung der Bauarbeiten. Sie pendelte zwischen der Baustelle und der Wohnung in Brooklyn Heights hin und her und überbrachte den Ingenieuren die Anweisungen ihres Mannes und ihm die Berichte und Fragen der Ingenieure und Unternehmer. Damit sie die Situation auf der Baustelle ungeschönt beurteilen konnte, brachte Roebling ihr die Grundlagen der Bautechnik, Statik und höheren Mathematik bei.

Mit großem Geschick, Klugheit und einer auf Baustellen eher seltenen Portion Charme, meisterte sie diese ungewöhnliche Situation noch ganze 11 Jahre lang, bis zur Vollendung der Brücke. Tatsächlich kann die Bedeutung ihrer Rolle gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, denn sie vernachlässigte neben alledem keineswegs die aufopferungsvolle Pflege ihres Mannes, der allein den Schlüssel zur Fertigstellung der Brücke in Händen hielt.

25.08.1876: die ersten beiden Drähte sind gespannt und "Meister"
E.F. Farrington macht seine waghalsige Fahrt über den East River.

Das "Spinnen" der Kabel

Nach einem Nervenzusammenbruch Washingtons wurde allen klar, dass ihm die Nähe zur Baustelle und der Sichtkontakt zu "seiner" Brücke nicht gut tat. Die Ärzte legten ihm einen Umzug nahe, dem er schließlich schweren Herzens zustimmte. Im April 1874 zogen die Roeblings nach Trenton, dem Sitz des Familienunternehmens und blieben dort für die nächsten drei Jahre. Während dieser ganzen Zeit wurde der Öffentlichkeit die gesundheitliche Situation des Chefingenieurs größtenteils vorenthalten. Die Zeitungen berichteten zwar regelmäßig über den Baufortschritt, erwähnten die Probleme und den Umzug Roeblings aber mit keinem Wort. Schon die Abreise zur Kur in Wiesbaden hatten nur ausgesprochen aufmerksame Zeitungsleser bemerkt. Vermutlich wollte die Brückenbaugesellschaft auf keinen Fall die Öffentlichkeit beunruhigen und hielt schon aus diesem Grunde an Roebling fest.

Während des Aufenthalts der Roeblings in Trenton wurden die Türme vollendet, die beiden riesigen Ankerblöcke hergestellt und alle notwendigen Vorbereitungen für das 'Kabelspinnen' getroffen. Als im Sommer 1876 mit den Kabelarbeiten begonnen werden sollte, gab es kein Halten mehr für Washington. Das Kabelspinnen war eine Technik, auf die sein Vater das amerikanische Patent hatte. Niemand außer Washington konnte darin Erfahrungen vorweisen, denn er hatte es ja mit seinem Vater schon beim Bau der Cincinnati-Covington-Bridge erprobt. Nun wollte er wieder vor Ort sein. Obwohl sich sein Gesundheitszustand nicht entscheidend verbessert hatte, setzte Roebling die Rückkehr der Familie in die Wohnung in Columbia Heights durch.

Am 14. August 1876 wurden die ersten beiden Drahtseile über den East River geschickt, denen noch Tausende folgen sollten. Der 19 mm starke Draht wurde von einer Kabeltrommel abgewickelt, die auf einer Fähre stand und langsam über den East River fuhr. Das Kabel sank auf Grund und wurde -in einem der wenigen Momente, in dem sich gerade kein Schiff zwischen den Brückentürmen befand- mit einer dampfbetriebenen Winde nach oben gezogen.


Frank Farringtons Mutprobe

Verantwortlich für die Herstellung der Seile war der Maschinenmeister E.F. Farrington, der diese Aufgabe schon bei der Niagarabrücke und der Brücke in Cincinnati für die Roeblings erledigt hatte. Um seinen Mitarbeitern die verständliche Angst vor der gefährlichen Arbeit an den Seilen zu nehmen, gehörte es für ihn zur Berufsehre, die erste "Fahrt" mithilfe des Drahtkabels selbst zu unternehmen. Das Ereignis war für den 25. August 1876 in der Presse angekündigt, und wiederum waren viele Zuschauer gekommen.

Farrington benutzte ein Brett das mit zwei Stahlseilen und einer Öse an dem umlaufenden Drahtkabel befestigt wurde. Seine Mitarbeiter zogen ihn vom Ankerblock in Brooklyn steil hinauf über den ersten Pylon. Dann ging es in rasanter Fahrt hinunter, bis er den tiefsten Punkt des Kabels erreicht hatte. Nun musste er wieder in die Höhe gezogen werden, bis er den Turm auf New Yorker Seite passiert hatte. Dabei schwenkte er die ganze Zeit seinen Hut und winkte der Menge am Boden zu. Als er seine halsbrecherische Fahrt am Ankerblock in New York beendet hatte, wurde seine mutige Tat mit frenetischem Beifall belohnt.

Im Frühjahr 1877 wurde der "Catwalk" installiert, ein 1,20 m schmaler Fußweg der von Ankerblock zu Ankerblock über die beiden Türme hinweg führte und an seinem tiefsten Punkt noch 64 m über dem East River schwebte. Er bestand aus rohen Holzplanken die an Stahlseilen aufgehängt waren. Um die Windanfälligkeit zu verringern hatten die Bretter einen gewissen Abstand voneinander, sodass man dazwischen die Wasseroberfläche sehen konnte. Der schwankende Weg war eigentlich nur für die Arbeiter bestimmt, die mit dem Kabelspinnen beschäftigt waren. Für das unbeteiligte Publikum bedurfte es sicher einigen Mutes, um ihn zu betreten. Trotzdem baten pro Tag bis zu 70 Privatleute um die Erlaubnis den Catwalk zu benutzen, was zunächst auch immer gestattet wurde. Einigen fuhr dann auf der Brücke aber derartig die Angst in die Glieder, dass sie weder vor noch zurück konnten und von den Arbeitern aus ihrer misslichen Lage gerettet werden mussten. Als Roebling das Ganze zu viel wurde, verbot er die Benutzung des Stegs durch Privatpersonen.


Über 23.000 km Draht und ein Betrug

Das eigentliche Kabelspinnen dauerte vom 29. Mai 1877 bis zum 5. Oktober 1878. Die Arbeiten wurden auch über den Winter fortgesetzt und nur bei starkem Seitenwind unterbrochen. Jedes der vier Kabel hat 19 Stränge, die ihrerseits aus 278 Einzeldrähten mit einem Durchmesser von 3 mm bestehen. Insgesamt also 5.282 Drähte pro Kabel. Die Drähte wurden mit der patentierten Vorrichtung der Roeblings von Anker zu Anker geschickt, parallel nebeneinander gelegt und zu den Strängen zusammengefasst. Als alle Stränge vollständig waren, wurden sie symmetrisch angeordnet und zu vier kompakten Kabeln Durchmessern von jeweils 40 cm gepresst.

Die Herstellung der vier Kabel hat begonnen. Links das "Spinnrad",
mit dem die Drähte über den East River gezogen wurden. Im
Vordergrund liegen die riesigen Kettenglieder zur Verankerung
der Kabel bereit. Der Text auf der Tafel lautet:
"SAFE FOR ONLY 25 MEN AT ONE TIME. DO NOT WALK CLOSE
TOGETHER. NOR RUN, JUMP OR TROT. BREAK STEP!

W.A. Roebling, Eng´r. in Chief."

Die Brooklyn Bridge war die erste Hängebrücke der Welt, bei der Drähte aus Stahl verwendet wurden. Die Entscheidung dafür traf Washington Roebling, der sich in diesem Punkt über die Pläne seines Vaters hinwegsetzte. Das war aber nur einer der Punkte, bei dem er von den Vorstellungen seines Vaters abwich. Noch heute gilt John A. Roebling als der alleinige Urheber der Brücke. Dabei wird jedoch leicht vergessen, dass Washington mehrere entscheidende Veränderungen an den Entwürfen vornahm.8

Im Sommer 1878 deckte Roebling einen Betrug des Kabellieferanten auf, der wegen Minderwertigkeit aussortierten Draht mit gefälschten Qualitätsbescheinigungen versehen hatte. Bedauerlicherweise war aber schon ein großer Teil des schlechten Drahtes in dem Kabel verarbeitet worden und konnte nun nicht mehr entfernt werden. Nach sorgfältigen Berechnungen und Abwägung aller Risiken entschied Röbling schließlich, dass die Drähte im Kabel verbleiben konnten, weil die Tragkraft der Seile noch über genügend Reserven verfügte. Der Lieferant durfte sogar den Auftrag behalten, musste die Vergütung für die minderwertigen Drähte aber zurückbezahlen.

Eine Besonderheit von John A. Roeblings Hängebrücken waren die zusätzlichen Drahtseile, die von der Spitze der Türme in gleichmäßigen Abständen mit dem Träger verbunden waren. Bereits bei den Brücken in Niagara Falls und Cincinnati hatte er die schrägen Seile verwendet. Diese Kabel dienten zur Aussteifung der "weichen" Hängekonstruktion und nahmen im Prinzip die modernen Schrägseilbrücken vorweg, die erst viele Jahrzehnte später entwickelt wurden. Die spinnennetzartige Verflechtung der vertikalen Hänger mit den Schrägseilen tragen bis heute entscheidend zum besonderen Erscheinungsbild der Brooklyn Bridge bei.


Lernen aus den Fehlern anderer

Die Roeblings waren innovative Ingenieure, die über technische Entwicklungen im In- und Ausland gut informiert waren. In Europa hatte man die Erfahrung gemacht, dass bei Hängebrücken aus Draht dem Teil der Kabel besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden musste, der sich innerhalb der Ankerkammern befand. Weil dieser Bereich nicht kontrolliert werden konnte, führte der Eintritt von Wasser zu Rostschäden und in der Folge sogar zu mehreren Brückeneinstürzen.9 Um diesem Problem aus dem Weg zu gehen, wird die Brooklyn Bridge 7,5 m nach dem Eintritt der Kabel in die Ankerkammern zur Kettenbrücke. Die Enden der Drahtseile wurden hier mit bis zu vier Meter langen gusseisernen Kettengliedern verbunden, die bis zur Sohle der Ankerkammer hinunterreichen. Dort wird jede der vier Ketten mit einer sternförmigen Ankerplatte aus Gusseisen gesichert. Durch diese Anordnung stemmt sich das gesamte Gewicht des Ankerblocks den Zugkräften aus den Kabeln entgegen. Im Gegensatz zu einigen frühen Drahtbrücken Europas sind die Ankerkammern der Brooklyn Bridge begehbar und vollständig hochwasserfrei.

Nachdem die Kabel sicher verankert waren, konnte mit der Herstellung des Fahrbahnträgers begonnen werden. Dazu wurden knapp 26 m breite Fachwerkträger mit vertikalen Stahlseilen im Abstand von 2,27 m an den Kabeln aufgehängt. Eine der vielen Zeitverzögerungen beim Bau der Brücke resultierte aus der Entscheidung Roeblings, auch diese Träger aus Stahl herstellen zu lassen. Die Unternehmer hatten nicht bedacht, dass einige ihrer Maschinen nicht für die Stahlverarbeitung geeignet waren und hatten so kalkuliert, als ob herkömmliches Eisen verwendet würde. Dadurch mussten erst einige neue Maschinen konstruiert werden, was zu einem erneuten Baustopp von mehreren Monaten führte.

Parallel zur Herstellung der Kabel und des Trägers wurden auf beiden Seiten die Zufahrten gebaut. Auch das war eine große Herausforderung und sorgte vor allem auf New Yorker Seite für jede Menge Ärger, weil dafür viele alte Gebäude abgerissen werden mussten.10 Durch die Verzögerungen und die enorm gestiegenen Baukosten war die öffentliche Meinung über das Projekt ohnehin auf einem Tiefpunkt angelangt und dafür musste nun ein Schuldiger gefunden werden.


Washington Roebling soll die Bauleitung entzogen werden

Im August 1882, wenige Monate vor der Vollendung der Brücke, brachte Seth Low, der Bürgermeister von Brooklyn, einen Antrag in den Ausschuss ein, mit dem Roebling als Chefingenieur abgesetzt werden sollte. Stattdessen sollte sein erster Assistent Charles Cyril Martin zum Bauleiter ernannt werden. Als Begründung gab er an, Roebling habe durch seine Abwesenheit von der Baustelle und den Sitzungen der Brückengesellschaft schon mehrere Verzögerungen verursacht und sei wegen seines gesundheitlichen Zustandes nicht dazu in der Lage, das Projekt zu Ende zu führen.

Washington war außer sich. Ausgerechnet jetzt, als die Brücke so gut wie fertig war, wollte man ihm den Auftrag entziehen. Und das, obwohl er bis dahin alle Schwierigkeiten gemeistert, seine Gesundheit für die Brücke ruiniert hatte und seinen Vater durch einen Arbeitsunfall verloren hatte. Er wehrte sich gegen die Vorwürfe und den drohenden Entzug der Bauleitung, konnte aber der Aufforderung persönlich vor der Gesellschaft zu erscheinen, nicht Folge leisten.

Einer der beiden Ankerblöcke im Schnitt. Oben links der Übergangsbereich von Kabel zu Kette (A). An dieser Stelle wird
jeder Kabelstrang (bestehend aus 278 Einzeldrähten) mit einer eigenen Kette verbunden, die am Fuß des Blocks in der
Ankerplatte endet (B). Auf dem rechten Bild eine der acht ovalen Ankerplatten mit Abmessungen von 5,34 x 4,88 m.

In dieser ausweglosen Situation kam ihm einmal mehr seine beherzte Frau zu Hilfe. Sie besuchte eine Sitzung der "American Society of Civil Engineers" (ASCE) und verlas eine Erklärung ihres Mannes, die alle Anschuldigungen Punkt für Punkt entkräftete. Emily Roebling war die erste Frau, der es erlaubt wurde vor diesem einflussreichen Gremium zu sprechen, und sie blieb den Ingenieuren keine Antwort schuldig. Die reine Männergesellschaft war offensichtlich sehr angetan von Emilys Auftreten und ihren fundierten Fachkenntnissen. Jedenfalls setzte sich die Ingenieurvereinigung danach so lange für Washington Roebling ein, bis die Absetzung endgültig vom Tisch war.


Die größte Brücke der Welt wird eröffnet

Im Frühjahr 1883 war das große Werk vollendet. Am 24.05.1883 fand die feierliche Einweihung statt, zu der auch Präsident Chester A. Arthur und der Gouverneur des Staates New York samt Kabinett erschienen. Nun waren alle Intrigen, Beschuldigungen, Verzögerungen, Kostensteigerungen und Korruptionsvorwürfe vergessen. Mit pathetischen Worten lobten die Redner alle am Bau beteiligten: allen voran natürlich die Politiker, die Gesellschafter, die Investoren, die Unternehmer und am Ende auch die Ingenieure. Sogar Emily Roebling wurde nicht vergessen, denn schon damals war man sich über ihren Anteil an der Vollendung des Bauwerkes durchaus im Klaren.

Nach dem offiziellen Teil gingen der Präsident und die anderen Prominenten gefolgt von einer riesigen Menschenmenge zum Haus von Washington Roebling. Sein Gesundheitszustand hatte ihm noch nicht einmal die Teilnahme an diesem für ihn so triumphalen Ereignis erlaubt. Der Präsident bedankte sich bei ihm für die geleistete Arbeit und die Menschenmenge vor dem Haus ließ ihn hochleben.

Bei Einbruch der Dunkelheit folgte ein prächtiges Feuerwerk und genau um Mitternacht auf den 25. Mai wurde die Brücke für die schon lange wartenden Fußgänger freigegeben. Ganz vorn dabei waren auch einige Langstreckenläufer die sich ein packendes Rennen lieferten, weil jeder der Erste sein wollte der die Brücke überquert hatte. Allein in den ersten 24 Stunden zählte man ¼ Million Benutzer, obwohl einige erst einmal abwarteten, ob die Brücke denn auch wirklich hielt.

Musste in den Caissons noch mit Kalziumlicht gearbeitet werden, wurde die Brücke nun von über 80 elektrischen Lampen beleuchtet11, denn inzwischen war die Glühbirne erfunden worden und das erste Elektrizitätswerk New Yorks in Betrieb gegangen. Die Presse überschlug sich mit Superlativen, allen voran der Brooklyn Eagle, der gar das achte Weltwunder ausrief. Aber auch rückblickend kann man die technische Leistung der beiden Roeblings nicht hoch genug einschätzen. Das Verhältnis zwischen dem Bau der Brooklyn Bridge und dem technischen Umfeld der damaligen Zeit wurde sogar mit der Mondlandung verglichen, die 1969 ebenfalls ein herausragendes "Leuchtturmprojekt" der Wissenschaft war.

Die Gesamtkosten der Brücke beliefen sich auf über 15.000.000 $, mehr als doppelt soviel, wie John A. Roebling 1867 veranschlagt hatte. An ihrem Bau waren über 600 Männer (und eine Frau) beteiligt, von denen 20 ihr Leben verloren und viele ihre Gesundheit einbüßten. Ihre freie Spannweite von über 486 m war bei ihrer Vollendung die mit Abstand größte der Welt. Der Rekord wurde erst 1890 von der Firth of Forth Eisenbahnbrücke in Schottland übertroffen.


Die Brücke gestern und heute

Im Laufe der Jahrzehnte wurde die Brooklyn Bridge mehr und mehr zu einem Touristenmagneten und einem Wahrzeichen New Yorks. Sie trug nicht unwesentlich zum Zusammenschluss Brooklyns und New Yorks zu einer gemeinsam verwalteten Stadt bei. Obwohl es inzwischen mit der Williamsburg Bridge (1903) und der Manhattan Bridge (1909) zwei weitere Brücken über den East River gibt, ist sie noch heute eine wichtige Säule der städtischen Verkehrsinfrastruktur.

Die Aufteilung der Fahrspuren auf die Verkehrsarten. Oben die ursprüngliche Anordnung bis 1950.
Unten nach der Sanierung durch Steinman (1954) mit rahmenförmigen Aussteifungen. Der höher
gelegene Gehweg blieb dabei unverändert. Der Träger hat eine Gesamtbreite von 25,90 m.

Natürlich musste sie inzwischen so manche Reparatur und zwei größere Umbaumaßnahmen über sich ergehen lassen. Die erste große Sanierung wurde von 1950 bis 1954 unter der Leitung von David B. Steinman durchgeführt12. Dabei wurden vor allem die Schienen entfernt um drei Fahrspuren je Richtung für den zunehmenden Autoverkehr zu schaffen. Außerdem wurde der hölzerne Fahrbahnbelag durch eine Stahlplatte ersetzt, eine Aussteifung des Trägers vorgenommen und der sensible Übergangsbereich zwischen den Drähten und den massiven Ankerketten saniert.

Zwischen 1986 und 1990 wurden alle vertikalen Hänger sowie 400 Schrägseile ausgetauscht und die Kabelumwicklung erneuert. Letzteres war ein aufwändiges Verfahren, für das eine Spezialmaschine entwickelt werden musste.

Nach der Vollendung der Brücke und der triumphalen Einweihung zogen Emily und Washington Roebling wieder nach Trenton, wo sich Emily in vielen Bereichen sozial engagierte. Sie starb am 28. Februar 1903 im Alter von 59 Jahren an den Langzeitfolgen einer Wirbelsäulenverletzung. Washington überlebte sie trotz seiner fortdauernden Leiden um viele Jahre. Als er am 21. Juli 1926 starb, war er taub, auf einem Auge blind und stark abgemagert. Obwohl er in der Zwischenzeit noch einmal geheiratet hatte, wurde er auf eigenen Wunsch auf dem Friedhof von Cold Spring neben Emily bestattet. Er wurde 89 Jahre alt.

1 Heute "John A. Roebling Suspension Bridge".
2 Am 21.11.1867 wurde in Mühlhausen das einzige Kind des Paares geboren. Der Junge wurde in derselben Kirche getauft wie sein Großvater und erhielt wie er den Namen John August.
3 Genau zur gleichen Zeit baute James Eads in St.Louis die erste Brücke über den Mississippi und verwendete dabei ebenfalls die Caissongründung. Bei einem Fundament ging er sogar noch tiefer als Roebling, bis auf 30,5 m. Durch den enormen Überdruck wurden viele seiner Arbeiter verletzt und 14 von ihnen getötet. Wegen der Anordnung der Luftschleusen entbrannte noch während der Bauarbeiten ein heftiger Streit zwischen Roebling und Eads, weil Eads ein Patent auf diese Technik hatte und Roebling sie beim New York Caisson einsetzte. Der für Washington sehr belastende Rechtsstreit wurde nach einer Zahlung von $5.000 schließlich eingestellt (Eads hatte $100.000 verlangt).
4 In der Öffentlichkeit und den Tageszeitungen nannte man sie meist "Sand Hogs" (Sandschweine).
5 Die erste funktionstüchtige Glühbirne für Dauerbetrieb von Thomas Alva Edison wurde erst 1880 patentiert.
6 Aus der "Göttlichen Komödie" von Danthe Alighieri
7 Das gleiche Problem haben auch Taucher beim Aufsteigen. Man nennt die Symptome heute daher meistens "Taucherkrankheit" (oder Caissonkrankheit).
8 Die wichtigsten Änderungen waren:
- Tiefe, vollflächige Caissongründung des New Yorker Turms auf Felsen. J.A.R. hatte wegen der großen Wassertiefe bei der Kalkulation eine Pfahlgründung vorgesehen;
- Verringerung der Dachstärke der Caissons, die nach den Plänen des Vaters mindestens 15 m betragen sollte. Die größte ausgeführte Stärke betug 6,70 m;
- Vergrößerung der lichten Durchfahrtshöhe um den Anforderungen des Kriegsministeriums zu genügen;
- Verbreiterung des Trägers auf 25,90 m. Dabei verlegte er den Gehweg nach innen, während sein Vater ihn außen (auf beiden Seiten) vorgesehen hatte. Der berühmte höher gelegene Gehweg ist also eine Idee Washington Roeblings;
- Zwei zusätzliche Gleise für Pferdebahnen. Durch die geänderte Aufteilung des Trägers für die Verkehrsarten musste er auch die Öffnungen in den Türmen verbreitern;
- Washington musste auch die gesamte Tragfähigkeit der Brücke verstärken, weil sich während der langen Bauzeit das Gewicht der Eisenbahnwagen erheblich vergrößert hatte. Die daraus resultierende Kostensteigerung wurde ihm in der Öffentlichkeit als Unfähigkeit ausgelegt;
9 Eine dieser eingestürzten Brücken war die Basse-Chaine-Brücke in Angers / Frankreich am 16.04.1850.
10 Unter den abgerissenen Gebäuden war auch das Haus, das der ehemalige Präsident George Washington von 1789-1790 bewohnt hatte. Zu diesem Zeitpunkt war New York die Hauptstadt der Vereinigten Staaten.
11 Die Brooklyn Bridge war die erste Brücke der Welt, die elektrisch beleuchtet wurde.
12 Steinman hatte ein ganz besonderes Verhältnis zur Brooklyn Bridge, denn er war quasi in ihrem Schatten aufgewachsen, und sein jugendliches Interesse an ihr führte schließlich dazu, dass er selbst Brückenbauer wurde. Seine größte Leistung war der Bau der Mackinac Straits Bridge, bei ihrer Vollendung die größte Brücke der Welt. Er schrieb den Klassiker "The Builders of the Bridge" (deutsche Ausgabe: "Brücken für die Ewigkeit") in dem er den Lebensweg der Roeblings und den Bau der Brooklyn Bridge ausführlich beschreibt.

Quellen:
  • David B. Steinman: "Brücken für die Ewigkeit" (Düsseldorf, 1957)
  • Washington Roebling: "Mein Vater John A. Roebling" (Halle/Saale, 2011)
  • David McCullough: "The Great Bridge" (New York, 1972)
  • Clifford W. Zink: "The Roebling Legacy" (Princeton, 2011)
  • Verein Deutscher Ingenieure: "100 Jahre Brooklyn Bridge" (Düsseldorf, 1983)
  • Ludwig H. Stein: "Brooklyn Bridge Rehabilitation" (Vortrag, 2006)
  • Werner Hentz: "125 Jahre Brooklyn Bridge in New York" (Bad Homburg, 2010)
  • Kirti Gandhi: "The St. Louis Bridge, the Brooklyn Bridge, and the feud between Eads and Roebling" (New York, 2011)
  • Ch. Szén: "Die East River Brücke,insbesondere die Baugeschichte derselben" (Deutsche Bauzeitung, 1883)
  • John Stern und Carrie Wilson: "The Brooklyn Bridge: A Study in Greatness" (New York City, 2008)
  • Kathrin E. Harrod: "Master Bridge Builders. The Story of the Roeblings" (New York, 1958)
  • Mühlhäuser Beiträge, Sonderheft 15: "Von Mühlhausen in die neue Welt - Der Brückenbauer J.A. Röbling" (Mühlhausen, 2006)
  • Allgemeine Bauzeitung, Wien: verschiedene Ausgaben
  • Polytechnisches Journal, Stuttgart: verschiedene Ausgaben
  • Deutsche Bauzeitung, Berlin: verschiedene Ausgaben
  • http://www.brooklynbridgeaworldwonder.com/index.html
  • http://www.nycroads.com/crossings/brooklyn/
  • http://www.transalt.org/files/resources/bridges/brooklyn.html
  • http://www.greatbuildings.com/buildings/Brooklyn_Bridge.html
  • u.a.


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© Dipl.Ing. Bernd Nebel