Claude Louis Marie Henri Navier

15.02.1785 - 23.08.1836


Navier mit dem Orden der Ehrenlegion

Der Franzose Claude Louis Marie Henri Navier Aus der Literatur geht nicht eindeutig hervor, welcher der vier Vornamen Naviers Rufname war. Wohl aus dieser Unsicherheit heraus wird er manchmal auch 'CLMH Navier' genannt. gilt heute als Begründer der modernen Baustatik. Navier war nicht nur ein herausragender Mathematiker und scharfer Analytiker, sondern auch ein beliebter Hochschullehrer und erfolgreicher Buchautor. Neben alldem war Navier aber auch ein entscheidender Wegbereiter der Hängebrücken in Europa. Ironie des Schicksals: sein erstes und einziges eigenes Hängebrückenprojekt endete in einem spektakulären Misserfolg.

Navier wurde am 15.02.1785, sozusagen am 'Vorabend' der Französischen Revolution, in Dijon (Region Bourgogne-Franche-Comté) geboren. Sein Vater war ein angesehener Advokat und Richter. Später engagierte er sich auch politisch und wurde Präsident des Departements Cote d'Or. Zu Henris Leidwesen starb der Vater jedoch schon kurz nach seinem achten Geburtstag. In den nächsten Jahren setzte seine Mutter alles daran, dass ihr begabter Sohn seine Ausbildung auf dem eingeschlagenen Weg fortsetzen konnte. Schon längst hatten nicht nur die Mutter, sondern auch seine Lehrer und Verwandten seine Intelligenz und seinen Ehrgeiz erkannt.


Émiland Gauthey wird zum Mentor einer steilen Karriere

Als Claude 14 Jahre alt war, musste seine Mutter eine wichtige Entscheidung über seinen weiteren Lebensweg treffen. In dieser Situation bot sich ein einflussreicher Verwandter an, den Halbweisen zu adoptieren und zu sich nach Paris zu holen. Émiland Marie Gauthey (1732-1807) war zu diesem Zeitpunkt Inspektor beim Corps des Ingenieurs des Ponts et Chaussées und einer der bekanntesten französischen Fachleute für Kanal- und Brückenbau. Zeitweise hatte er auch an der berühmten 'Ecole des Ponts et Chaussees' gelehrt und war 1791 zum Generalinspektor beim Corps des Ingenieurs des Ponts et Chaussées ernannt worden.

Gauthey war bereits 67 Jahre alt als er Navier nach Paris holte, schenkte dem talentierten jungen Mann aber seine volle Aufmerksamkeit. Gauthey war es auch, der Naviers Ausbildung endgültig in die mathematisch-technische Richtung lenkte und ihm zu vielen Kontakten mit wichtigen Persönlichkeiten verhalf. Unter Gautheys Anleitung bestand Navier schon im Alter von 17 Jahren die schwere Aufnahmeprüfung an der erst acht Jahre zuvor gegründeten École Polytechnique. Nur zwei Jahre später (1804) wechselte er an die Ecole des Ponts et Chaussées. Diese Schule für Straßen- und Brückenbau war zum damaligen Zeitpunkt weltweit die beste Lehranstalt ihrer Art.

Noch im gleichen Jahr dürfte er aus nächster Nähe beobachtet haben, wie sich der Korse Napoléon Bonaparte eigenhändig die Krone aufsetzte und damit begann, den gesamten europäischen Kontinent mit endlosen Kriegen zu überziehen. Dennoch machte Navier 1808 seinen Abschluss als Straßen- und Brückenbauingenieur und verfügte somit über die bestmögliche Ausbildung seiner Zeit auf diesem Fachgebiet.

Nachdem 1806 sein Ziehvater Gauthey gestorben war, machte sich Navier erstmals in der Öffentlichkeit einen Namen als Herausgeber, indem er Gautheys Lebenswerk als Buch veröffentlichte. Darüber hinaus gab er in den nächsten Jahren mehrere bautechnische Standardwerke in französischer Sprache heraus, die er mit kritischen Anmerkungen versah.

Nach dem Studium begann er eine Karriere im Staatsdienst in der französischen Straßen- und Brückenbauverwaltung. Schon als jungem Ingenieur wurden ihm eigene Bauprojekte für Brücken und ganze Straßenabschnitte übertragen. Dabei hatten viele der Straßenbaumaßnahmen einen militärischen Bezug. Bei den Brückenprojekten handelte es sich in aller Regel um Steinbogenbrücken und nur in Ausnahmefällen auch um Holzbrücken.

Gleichzeitig scheint man in der Verwaltung auch schon sehr frühzeitig sein pädagogisches Talent erkannt zu haben, denn er wurde spätestens ab 1819 auch als Aushilfslehrer "Professor suppléant" für das Lehrfach Mechanik an der 'Ecole des Ponts et Chaussees' eingesetzt.


Zwei Dienstreisen nach Großbritannien

Aufgrund seiner analytischen Fähigkeiten erhielt Navier um 1820 einen wichtigen Auftrag von seiner Behörde: er sollte für die französische Straßen- und Brückenbauverwaltung die Fortschritte auf der britischen Insel beim Bau von Hängebrücken erkunden. Zu diesem Zweck unternahm er in den kommenden Jahren zwei längere Dienstreisen nach Großbritannien. Wie Navier selbst in seinem Bericht erwähnt, fand die erste Reise von September bis November 1821 statt und die zweite Reise von März bis April 1823. Weil er anschließend einen ausführlichen Bericht über seine Erfahrungen abzuliefern hatte und diesen Bericht später in Buchform veröffentlichte, sind wir über den Verlauf der Reise gut unterrichtet.

Die legendäre Union Bridge an der englisch-schottischen Grenze

Innerhalb Europas wurde die praktische Anwendung von Hängebrücken nirgendwo früher erprobt und weiterentwickelt, als in Großbritannien. Dies lag aber nicht etwa daran, dass man auf der britischen Insel eher von der frühen Verwendung dieses Brückentyps in Asien und Südamerika erfahren hätte. Auch in Frankreich und Deutschland war man durch die Werke von Faustus Verantius, Athanasius Kirchner und die Entdeckungsreise Alexander von Humboldts nach Südamerika (1802) durchaus über das Prinzip der Hängebrücken informiert. Die klassischen Vorbilder hatten jedoch Materialien aus der Natur, wie Lianen oder ähnliche Pflanzenfasern, verwendet. Diese hatten nur eine geringe Tragfähigkeit und waren nur für Fußgänger oder Packpferde geeignet.

Um das Grundprinzip der Hängebrücken an die damaligen Anforderungen des europäischen Straßenverkehrs Der schwerste Straßenverkehr der damaligen Zeit bestand aus Postkutschen, Ochsenfuhrwerken und bis zu zehnspännigen Pferdegespannen. anzupassen, bedurfte es aber noch eines weiteren Schrittes: dem Ersetzen der Naturfasern durch zähes Eisen. Kein anderes Land Europas war Anfang des 19. Jahrhunderts dazu in der Lage, Eisen in so großen Mengen und so guter und gleichbleibender Qualität herzustellen, wie Großbritannien. Es ist daher kein Zufall, dass die englischen und schottischen Ingenieure zunächst die europäische Führungsrolle beim Bau von Hängebrücken übernahmen.

Der Zeitpunkt zu dem Navier seine beiden Reisen nach Großbritannien unternahm war gut gewählt, denn dort grassierte geradezu eine Art Euphorie im Zusammenhang mit dem Kettenbrückenbau. Samuel Brown hatte gerade die Union Bridge über den schottisch-englischen Grenzfluss Tees fertiggestellt (1820). In Wales war Thomas Telford seit 1820 dabei die Menai Strait Brücke zu bauen. Nach Ihrer Vollendung sollte sie für viele Jahre die Brücke mit der größten Spannweite der Welt sein.

Fast zeitgleich ließ Mark Isambard Brunel in einer Eisenfabrik bei Rotherham (nördlich von Sheffield) zwei Kettenbrücken für die Insel Bourbon Heute "La Réunion" (bis 1784: Ile Napoleon) herstellen. Die für 'leichtes Fuhrwerk' bestimmten Brücken wurden nur wenige Wochen später in ihre Einzelteile zerlegt per Schiff auf die Insel im Indischen Ozean transportiert und dort aufgebaut. Der Auftraggeber für die beiden Brücken war der französische Staat, denn Bourbon (bzw. La Réunion) gehörte damals wie heute zu Frankreich. Insofern ist zu vermuten, dass Navier von seinem Dienstherrn auch den Auftrag hatte, den Fortschritt bei der Produktion des Eisenmaterials zu überprüfen.

Obwohl es nirgendwo ausdrücklich erwähnt wird, dürfte der konkrete Anlass für Naviers zweite Englandreise eine Art "Abnahme" der beiden Kettenbrücken für die Insel Bourbon gewesen sein. Jedenfalls war Navier zugegen, als die Brücken in Rotherham provisorisch aufgebaut Nach Drewry wurden die Brücken im Januar 1823 in Rotherham zur Probe aufgerichtet und einige Wochen später von Navier geprüft ('examined'). wurden, bevor man sie - wieder zerlegt - mit dem Schiff auf die östlich von Madagaskar gelegene Insel transportierte.

Navier scheint aber auch die in seinem Werk erwähnten britischen Kettenbrücken persönlich besucht zu haben und hat dabei auch einige der Ingenieure persönlich kennengelernt, mit denen er in den nächsten Jahren korespondiert. Trotz der erst wenige Jahre zuvor beendeten "Napoleonischen Kriege" Erst mit der Schlacht bei Waterloo im Jahre 1815 waren die Kriege wirklich beendet. scheint es unter Fachleuten kein Problem gewesen zu sein, das Fachwissen mit den ausländischen Kollegen zu teilen.


Der 'Rapport' über die Hängebrücken

Ausschnitt aus dem Kartenwerk zu Naviers 'Rapport' über die Hängebrücken.

Nach der Rückkehr von seiner zweiten Englandreise lieferte Navier zunächst einmal den von ihm erwarteten Rapport bei seinem Vorgesetzten, dem Generaldirektor Louis Becquey, ab. Diesen Bericht, mit französischen Erfahrungen beim Hängebrückenbau angereichert und mit mathematischen und physikalischen Betrachtungen ergänzt, machte er noch im gleichen Jahr auch als Buch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich. Das eigentliche Verdienst Naviers um die Hängebrücken ist sein Versuch, das statische Prinzip mathematisch abzubilden und in anwendbare Formeln zu fassen. Im Gegensatz zu den britischen Ingenieuren, deren Arbeit traditionell eher von der Praxis bestimmt war, dem 'learning by doing', gab Navier den Ingenieuren das theoretische Rüstzeug an die Hand, das grundsätzliche Prinzip der Hängebrücken auf den jeweiligen Einzelfall anzuwenden.

Dem Werk mit dem vollständigen Titel "Rapport a Monsieur Becquey, Conseiller d´Etat, Directeur Genéral des Ponts et Chaussées et des Mines; et Mémoire sub Les Ponts Suspendus" war ein großer Erfolg beschieden. "Bericht an Herrn Becquey, Staatsrat und Generaldirektor des Straßen-, Brücken- und Bergbaues und Abhandlung über die (Ketten-) Hängebrücken" Es sollte für die folgenden Jahrzehnte in ganz Europa zum universellen Standardwerk für den Ketten- und Hängebrückenbau werden. Das Buch wurde in viele Sprachen übersetzt (allein in Deutsch erschienen drei Übersetzungen) und machte Navier sozusagen 'über Nacht' dem europäischen Fachpublikum bekannt.

Navier behandelte das Thema Hängebrücken erstaunlich umfassend: neben einem historischen Abriss ihrer Ursprünge in tropischen Ländern, behandelt er u.a. das statische Prinzip der Hängebrücken, die unterschiedlichen Arten der Kettenaufhängung, Materialeigenschaften des Eisens, die Verankerung der Ketten, die Verbindung der einzelnen Kettenglieder, Längenänderung der Eisenstäbe durch Temperaturunterschiede (Dilatation), Einflüsse von Wind, Verkehr und Eigengewicht der Ketten auf die Standsicherheit und vieles mehr. Er beschreibt die Anwendung für den Straßenverkehr aber auch für Wasserleitungen und lässt auch Sonderfälle, wie z.B. Schrägseilbrücken Schrägseilbrücken waren damals noch exotischer als Hängebrücken und wurden nur als Sonderform begriffen. Erst im Laufe der Zeit setzte sich der Gedanke durch, dass es sich hierbei doch um ein eigenes statisches Prinzip handelt. nicht aus.


Der 'Pont des Invalides' in Paris hätte fast die Spannweite der Manai Strait Brücke erreicht, der damals größten Brücke der Welt.
Die Gründe für Ihren Abbruch, noch vor der Verkehrsfreigabe, waren eher politisch motiviert als technisch notwendig.

Bis zu Naviers Veröffentlichung hatte es in Frankreich keine eigenständige Entwicklung im Kettenbrückenbau gegeben, was aber nicht heißt, dass gar keine Hängebrücken gebaut wurden. Frankreich gehörte aber - wie z.B. auch die Schweiz - zu den Ländern, die Hängebrücken von Anfang an lieber mit Drahtseilen als mit Ketten bauten. Die erst später erkannte Überlegenheit der Drahtseilbrücken war zum damaligen Zeitpunkt noch nicht absehbar, sodass man es für wichtig hielt, auch eigene Erfahrungen mit Kettenbrücken zu sammeln.


Der Pont des Invalides

Für Navier hatte die Beschäftigung mit den Hängebrücken zur Folge, dass er von seinem Arbeitgeber selbst einen Auftrag zum Bau einer Kettenbrücke erhielt. Es ist aufgrund der bekannten Quellen nicht ohne weiteres nachvollziehbar, ob dieses Projekt bereits bei den Dienstreisen nach Großbritannien im Hintergrund stand oder sich erst nach der Vorlage seines 'Rapports' ergeben hat. Jedenfalls hat Navier um den Jahreswechsel 1823 / 24 einen Entwurf für den 'Pont des Invalides' ausgearbeitet und dabei auch eine der ersten statischen Berechnungen für Hängebrücken durchgeführt.

Die projektierte Kettenbrücke sollte über die Seine führen und das Hôtel des Invalides (das Grabmal Napoleons) mit der Champs Elysées verbinden. Navier packte all seine in Großbritannien erworbenen Erkenntnisse in diesen Entwurf. Wenn man bedenkt, dass es sich um die erste große Kettenbrücke Frankreichs handelte, waren ihre Ausdehnungen enorm und reichten fast an Telfords Rekordbrücke über die Menai Strait heran. Allerdings hatte man auf der Insel auch schon reichlich Erfahrung mit dem Bau von Kettenbrücken. Die freie Spannweite des Pont des Invalides zwischen den Uferbrüstungen sollte immerhin 150 m betragen und der horizontale Abstand zwischen den Auflagersätteln war mit 170 m projektiert.

Obwohl es von Seiten der Stadt Paris schon im Vorfeld erhebliche politische Widerstände gegen die Brücke gegeben hatte, wurde der Bau durch königliche Verordnung vom 7. Juli 1824 genehmigt. Den Auftrag für die Bauausführung vergab man an die renommierte Firma von Alain Desjardins. In den nächsten Monaten schritten die Bauarbeiten zügig voran und sorgten in der Pariser Öffentlichkeit für viel Gesprächsstoff. Alle damals vorhandenen Brücken über die Seine waren Steinbrücken, sodass eine filigrane Kettenbrücke mit ägyptischen Pylonen Durch seine 'Ägyptische Expedition' (1789-1801) hatte Napoleon Bonaparte in Frankreich aber auch in anderen Ländern Europas das Interesse an der ägyptischen Kultur und vor allem an seiner Architektur geweckt als ebenso modern wie 'schick' wahrgenommen wurde.

Nach knapp zwei Jahren Bauzeit waren die Arbeiten soweit fortgeschritten, dass man die Ketten auf einem vorbereiteten Gerüst montieren konnte. Am 30. Juli 1826 wurde das über die Seine gespannte Gerüst entfernt. Ab diesem Moment mussten die Ketten ihr eigenes Gewicht tragen, was dem größten Anteil an der Gesamtlast entsprach. Kurz darauf bemerkte man, dass sich im Mauerwerk bei einer der vier Kettenverankerungen eine wenige Millimeter breite vertikale Fuge geöffnet hatte. Man maß diesem Vorfall zunächst aber keine große Bedeutung bei und setzte die Bauarbeiten mit der Montage des Fahrbahnträgers fort. Ende August, als der Fahrbahnträger fast vollständig montiert war, hatte sich die Fugenbreite auf ca. 5 cm vergrößert.

Navier hatte die Verankerung der Ketten besonders sorgfältig geplant.
Dennoch traten in diesem Teil des Bauwerks die verhängnisvollen Schäden auf.

Einige Tage später nahmen die Schwierigkeiten durch ein unerwartetes Ereignis eine dramatische Wendung: am Ufer der Seine brach eine Hauptwasserleitung und flutete die betroffene Ankerkammer. Am nächsten Tag hatte sich die Fuge auf 60 cm vergrößert und dadurch die Standsicherheit der Brücke ernsthaft in Gefahr gebracht. Die Gegner des Projektes nutzten den nun aufkeimenden Streit über die Schuld an dem Unglück und die zusätzlichen Kosten zu einer erneuten Grundsatzdiskussion über Sinn oder Unsinn der Brücke. Navier ahnte die Gefahr und versuchte durch die Veröffentlichung einer Rechtfertigungsschrift das Schlimmste zu verhindern, was ihm jedoch nicht gelang. Am Ende wurde tatsächlich per königlicher Verordnung angeordnet, das gesamte fast vollendete Bauwerk wieder restlos abzutragen.

Natürlich war das ein schwerer Schlag für Navier, dem in der Öffentlichkeit die Hauptschuld an dem Desaster gegeben wurde. Der bekannte Mathematiker und Wasserbauingenieur Gaspard de Prony bestätigte später die schon von Navier geäußerten wahren Gründe für die Demontage:

Anstelle der abgetragenen Brücke errichtete man bis 1829 etwa 250 m stromabwärts eine neue Hängebrücke, den Pont de l'Allée d'Antin, allerdings mit einer deutlich geringeren Spannweite. Diese Brücke bestand nur bis 1850 und wurde dann durch die heute noch vorhandene klassische Steinbogenbrücke ersetzt, die wieder den Namen 'Pont des Invalides' trägt. An der Stelle von Naviers Hängebrücke befindet sich heute der Pont Alexandre III.


Ehrungen im Dienste der Wissenschaft

Obwohl das Unglück um den Pont des Invalides eine schwere Niederlage für Navier bedeutete, wurde er von seinen Vorgesetzten keineswegs fallengelassen. In der Bauverwaltung hatte man durchaus erkannt, dass der von Navier ausgearbeitete Entwurf keinen Fehler enthalten hatte, sondern nur unglückliche Umstände zum Misserfolg des Projektes geführt hatten.

Allerdings unternahm Navier nie mehr den Versuch eine Hängebrücke zu bauen, sondern konzentrierte sich wieder auf seine wahre Berufung, nämlich Wissenschaft und Lehre. 1830 wurde er zum Professor für Analysis und Mechanik an der École Royale Polytechnique ernannt. Nach allem was wir wissen, scheint er bei seinen Studenten außerordentlich beliebt gewesen zu sein, weil er sowohl ein hervorragender Lehrer aber auch ein verständnisvoller Pädagoge war.

In Fachkreisen gilt Navier vor allem als Begründer der modernen Baustatik. Von ihm sind mehrere Formeln und Theorien bekannt geworden, mit denen er versuchte, physikalische und bautechnische Probleme 'berechenbar' zu machen. Dazu gehören z.B. die Navier-Stokes-Gleichungen, George Gabriel Stokes (1819-1903) war ein irischer Mathematiker und Physiker der ohne direkte Zusammenarbeit mit Navier (und Barré de Saint-Venant) an den Strömungsgesetzen arbeitete. mit denen das Strömungsverhalten von Flüssigkeiten und Gasen abgebildet wird. Mit seiner Biegetheorie gelang ihm die Formulierung einer klassischen Berechnungsmethode für den 'Balken auf zwei Stützen'. Diese zentrale statische Aufgabenstellung löste er in der Tradition der Arbeiten Leonardo da Vincis und Galileo Galileis.

Naviers letzte Ruhestätte auf dem Friedhof Pere Lachaise.
Das Grab befindet sich in der 'Avenue de Saint-Morys'
im Zentrum des Friedhofs (Sektion 50).

Im Laufe seines Berufslebens wurden Navier zahlreiche Ehrungen zuteil: unter anderem wurde er in die Akademie der Wissenschaften aufgenommen und zum Offizier der Ehrenlegion ernannt. Dieser Titel, bis heute die höchste Ehrung des französischen Staates, scheint ihm viel bedeutet zu haben, denn er trägt den Orden auf dem einzigen von ihm überlieferten Porträt. Außerdem ist Navier auch einer der 72 französischen Wissenschaftler und Ingenieure, deren Namen auf dem Eiffelturm eingraviert sind.


Familie

Soviel uns über Naviers Berufsleben auch bekannt ist, umso weniger wissen wir über sein Privatleben. Etwa um 1812 hatte er Marie Charlot (31.03.1782 - 18.09.1863), geheiratet. Marie, die Marquise de Beauvoir, stammte ebenfalls aus Dijon und war etwa drei Jahre älter Alle diese Angaben sind dem Grabstein auf dem Friedhof Pere Lachaise in Paris zu entnehmen. als Navier. Mit ihr hatte er zwei Töchter.

Es scheint von Navier nur eine einzige bildliche Darstellung überliefert zu sein, nämlich die oben abgebildete Büste des Künstlers Henry Cros aus dem Jahr 1885. Als diese Büste angefertigt wurde, war Navier also schon ca. 50 Jahre tot. Insofern ist nicht ganz klar, inwieweit das Exponat tatsächlich Ähnlichkeit mit Navier hat. Die Büste wird heute im Archiv der Ècole nationale des Ponts et Chaussees aufbewahrt.

Noch mitten im Berufslebend stehend, starb Claude Navier am 23. August 1836 im Alter von nur 51 Jahren. Die Todesursache ist nicht bekannt. Seine Ehefrau überlebte ihn um 27 Jahre und wurde im gemeinsamen Grab auf dem Friedhof Pere Lachaise bestattet. Die Ruhestätte Naviers Cemetery Père Lachaise, 'Avenue de Saint-Morys' (Sektion 50) auf diesem sehenswerten Friedhof besteht noch heute.

Quellen:
  • CLMH Navier: "Bericht an Herrn Becquey, etc. Abhandlung über die (Ketten) Hängbrücken". Übersetzt von J.G. Kutschera. Lemberg, 1829.
  • Anonym: "Biographische Notiz - Ludwig Navier". Allgemeine Bauzeitung, Wien. Nr. 39, Jahrgang 1837. Seite 325-328.
  • Fritz Stüssi: "Baustatik vor 100 Jahren - die Baustatik Naviers". Veröffentlicht in der Schweizerischen Bauzeitung, Jahrgang 1940, Heft 18, Seite 201.
  • Tom F. Peters: "Transitions in Engineering: Guillaume Henri Dufour and the Early 19th Cable Suspension Bridges". Seite 178. Basel, 1987.
  • Antoine Picon: "Navier and the Introduction of Suspension Bridges in France". Veröffentlicht in "Construction History, Vol. 4. 1988.
  • Hans Straub: "Die Geschichte der Bauingenieurkunst". 4. Überarbeitete Auflage. Herausgegeben von Peter Zimmermann. Basel 1992. Seite 205.
  • Karl-Eugen Kurrer: "Geschichte der Baustatik - Auf der Suche nach dem Gleichgewicht", (2. Auflage). Berlin, 2016.


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© Dipl.Ing. Bernd Nebel