Die Donau ist sowohl von ihrer Länge als auch von der mitgeführten Wassermenge der zweitgrößte Fluss Europas. Bis 1870 war sie bei Wien noch fast ungezähmt. Sie veränderte ständig ihr Flussbett und ihre Hochwasser sorgten immer wieder für große Schäden in der Stadt. Im Sommer blieben im Überschwemmungsgebiet Tümpel zurück, in deren Wasser sich viele Insekten bildeten und die Bevölkerung quälten. Man vergisst heute leicht, dass bis zur Trockenlegung von Sümpfen und der Begradigung der großen Flüsse auch in Mitteleuropa viele Menschen an der Malaria starben. Der Höhepunkt der Epidemien in Deutschland und Österreich war die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts.
In Wien brachte erst die zwischen 1870 und 1875 durchgeführte Donauregulierung eine deutliche Verbesserung der Situation, deren zentrale Maßnahme ein etwa 5,5 km langer Durchstich war, der die östliche Donauschleife zum Altarm machte. Der neue Verlauf der Donau und der parallel angelegte Donaukanal in unmittelbarer Nähe des Stadtzentrums machten den Bau von fünf neuen Brücken erforderlich. Drei davon waren reine Eisenbahnbrücken und eine weitere war für den damals noch schwachen Straßenverkehr bestimmt. Die fünfte Brücke, die den Namen "Kronprinz-Rudolf-Brücke" Kronprinz Rudolf von Österreich-Ungarn (21.08.1858 - 30.01.1889). Sohn von Kaiser Franz Joseph I. und Kaiserin Elisabeth ("Sissi"). erhielt, war eine kombinierte Brücke für Schiene und Straße.
Nach ihrer Einweihung am 21. August 1876 wurde sie aber zunächst nur von Fußgängern, Reitern, Fuhrwerken und der Postkutsche benutzt. Erst 1898 wurden Schienen für die Straßenbahn verlegt. Die Kronprinz-Rudolf-Brücke war eine aus eisernen Gitterträgern bestehende Balkenbrücke, ähnlich den Bauwerken, die es zu dieser Zeit u.a. schon in Köln und Dirschau gab.
Die 'Kronprinz-Rudolf-Brücke' um 1900.
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Im Bereich der Donau hatte die Brücke vier eiserne Hauptfelder mit Spannweiten von jeweils 84 m aber ihre Gesamtlänge einschließlich der Vorlandbrücken betrug über 1.000 m. Im Überschwemmungsgebiet und den beiden Vorländern bestanden die Auffahrrampen aus steinernen Bögen. Der Gitterträger hatte Abmessungen von knapp 12 m in der Breite und 7,35 m in der Höhe.
Nach dem Niedergang der österreichischen Monarchie wurden viele Straßen, Plätze und Bauwerke umbenannt. Das betraf auch die Kronprinz-Rudolf-Brücke, die ab 1919 erstmals als "Reichsbrücke" bezeichnet wurde.
Einige Jahre nachdem der Straßenbahnverkehr auf der Brücke eröffnet worden war, erschien das Automobil im öffentlichen Raum und beanspruchte von nun an immer mehr Verkehrsflächen für sich. Durch die verstärkte Bebauung auf der Ostseite des Flusses nahm der Verkehr auch quantitativ stark zu, sodass sich schon bald zeigte, dass die Brücke überlastet und vor allem zu schmal war.
Anfang der 1930er Jahre waren sich die politischen Gremien darüber im Klaren, dass eine Verbesserung der Situation unausweichlich war. Die österreichische Bundesregierung beschloss schon 1933 im Grundsatz, dass eine Erhöhung der Leistungsfähigkeit der Brücke vorgenommen werden müsse. Allerdings wurden schon bei den ersten Vorüberlegungen die besonderen Schwierigkeiten des Vorhabens deutlich. Da man die auf beiden Uferseiten anschließenden Schienen und Straßen nicht ohne weiteres verlegen konnte, musste der Neubau exakt an der Stelle des vorhandenen Bauwerkes erfolgen.
Die Verschiebung der ersten Reichsbrücke im September 1934
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Im Normalfall hätte dies vom Bauablauf her zunächst den vollständigen Abbruch des vorhandenen Bauwerkes bedeutet und anschließend den Bau der neuen Brücke. Da die Reichsbrücke aber inzwischen eine zentrale Rolle in der verkehrlichen Infrastruktur Wiens eingenommen hatte, war ein jahrelanges Fehlen des Donauübergangs undenkbar geworden. Es musste also ein anderes Konzept gefunden werden.
Die ungewöhnliche Lösung der Aufgabe bestand schließlich darin, die Pfeiler der alten Brücke stromabwärts zu verlängern und den gesamten Überbau der alten Reichsbrücke um ca. 26 m in Fließrichtung der Donau zu verschieben. Nachdem die Anschlüsse behelfsmäßig verlegt worden waren, konnte der Verkehr fast ungestört weiterfließen, während am alten Standort die neue Reichsbrücke gebaut wurde. Die Bauarbeiten dauerten ca. drei Jahre, währenddessen die alte Reichsbrücke weiter in Betrieb blieb.
Für den Bau der neuen Brücke wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, der den Teilnehmern völlige Freiheit bei der Wahl der Tragwerksart ließ. Einer der über 60 eingereichten Entwürfe schlug als Alternative sogar eine Untertunnelung der Donau Zu diesem Zeitpunkt gab es bereits in mehreren europäischen Großstädten Tunnel unter Flüssen. Z.B. war in Hamburg bereits seit 1911 der erste Elbtunnel in Betrieb. vor. Im Rückblick scheint es erstaunlich, dass der ausgewählte Entwurf ausgerechnet eine Kettenbrücke vorschlug, obwohl sich zu dieser Zeit die Überlegenheit der Hängebrücken mit Drahtseilen schon deutlich abzeichnete. In Amerika gab es z.B. schon eine ganze Reihe von großen Drahtseilhängebrücken und in San Francisco wurde exakt zur selben Zeit (1933 - 1937) die Golden Gate Bridge errichtet.
Österreich gehörte aber mit Großbritannien und Deutschland zu den Ländern, die sich beim Bau von Hängebrücken von Anfang an auf die Verwendung von Ketten festgelegt hatten. Auch in Wien gab es schon eine lange Tradition im Bau von Kettenbrücken, die mit der Sophienbrücke (auch 'Rotundenbrücke') im Jahr 1825 ihren Anfang genommen hatte. Dennoch sollte die zweite Reichsbrücke eine der letzten großen Kettenbrücken der Welt bleiben.
Die neue Reichsbrücke bei Hochwasser. Im Vordergrund einer der Strompfeiler, der zum Einsturz der Brücke führte.
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Die Bauarbeiten der neuen Brücke gestalteten sich durchaus schwierig. Besonders die Gründung der Pfeiler im weichen Flussbett der Donau führte zu einer heftigen Auseinandersetzung unter den Fachleuten. Während die auf Druck beanspruchten Fundamente für die Pylonen mit Senkkästen gegründet wurden, schien dies bei den auf Zug beanspruchten Verankerungen der Ketten nicht ratsam. Ein Ergebnis des Expertenstreits war daher die Entscheidung, die Ketten nicht wie eigentlich geplant in massiven Ankerblöcken auf dem Grunde der Donau zu verankern. Stattdessen wurde die Rückverankerung der Ketten am Fahrbahnträger vorgenommen. Diese Konstruktionsart nennt man 'selbstverankerte Hängebrücke' oder auch 'unechte Hängebrücke'.
Die 'Ketten' der Reichsbrücke bestanden eigentlich aus jeweils 12 nebeneinander liegenden, hochkant gestellten Flacheisen mit sogenannten 'Augen'. Am Ende jedes Stabes wurden die 'Augen' mit denen des nächsten Stabes abwechselnd nebeneinander gelegt und durch starke Bolzen miteinander verbunden. Die beiden portalartigen Pylonen bestanden aus genieteten Blechen und wurden wie die Flacheisen für die Ketten aus Stahl hergestellt.
Nach einer gründlichen Belastungsprobe wurde die neue Reichsbrücke am 10. Oktober 1937 eingeweiht. Sie verfügte über insgesamt vier Fahrspuren für Kraftfahrzeuge, 2 Straßenbahngeleise sowie beidseitige Gehwege. Nach Vollendung der Kettenbrücke wurde der Gitterträger der alten Reichsbrücke abgetragen und einer Wiederverwertung zugeführt.
Während des zweiten Weltkrieges erlitten sämtliche Brücken Wiens starke Beschädigungen, wobei die Reichsbrücke noch am besten davon kam und als einzige Donaubrücke in Betrieb blieb. Entsprechend groß war daher ihre Bedeutung für die Stadt. Nach dem Krieg war Wien für zehn lange Jahre (1945 bis 1955) in vier Sektoren der Besatzungsmächte aufgeteilt. Die Reichsbrücke lag im russischen Sektor und wurde infolge der politischen Ereignisse in "Brücke der Roten Armee" umbenannt. Während des Krieges und der anschließenden Besatzungszeit rollten viele Panzer und sonstige Militärfahrzeuge über die Brücke. Weil sie zunächst die einzige Donaubrücke Wiens war, wurde ihr während dieser Zeit so manche Belastung zugemutet.
Die Aufteilung des Fahrbahnträgers für die verschiedenen Verkehrsarten
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Von 1948 bis 1952, also noch während der Besatzungszeit, wurde das Bauwerk in allen Teilen gründlich saniert und für die weiter gestiegenen Verkehrsanforderungen ertüchtigt. Nachdem die Rote Armee abgerückt war, wurde sie umgehend wieder in Reichsbrücke umbenannt. Für die Wiener gehörte die Brücke zu Anfang der 1970er Jahre zum vertrauten Stadtbild. Sowohl für die Bevölkerung als auch für die mit der Wartung betrauten Fachleute, machte sie keineswegs den Eindruck, dass sie schon bald und ohne jede Vorankündigung ihren Dienst verweigern würde.
Doch am 1. August 1976 gegen 4:55 Uhr geschah das Unbegreifliche: einer der beiden Stahlpylone gab unvermittelt nach und stürzte mit dem gesamten Fahrbahnträger der Reichsbrücke in die Donau. Nachdem die Kette gerissen war, kippte auch der zweite Pylon zur Brückenmitte hin um. Obwohl es sich natürlich um ein außerordentlich tragisches Unglück handelte, hätte es wohl kaum einen "günstigeren" Zeitpunkt für diese Katastrophe geben können. Es war ein Sonntag und die ansonsten mit einem mittleren Verkehrsaufkommen von 18.000 Fahrzeugen am Tag sehr stark frequentierte Brücke war um diese Uhrzeit - und zudem noch in den Sommerferien - fast völlig leer.
Von den vier Fahrzeugen die sich im Moment des Einsturzes auf der Brücke befanden, konnten zwei dem drohenden Absturz mit knapper Not entgehen. Ein Autobus der Wiener Verkehrsbetriebe stürzte aber in die Donau und konnte erst Tage später geborgen werden. Durch die nachtschlafende Zeit war der Bus aber mit keinem einzigen Fahrgast besetzt. Der Fahrer konnte wenig später unversehrt vom Dach seines Fahrzeuges geborgen werden. Trotz der insgesamt glimpflichen Umstände verlor ein Mensch bei dem Unglück sein Leben: der 22-jährige Fahrer eines Lieferwagens stürzte in die Donau und ertrank in seinem Fahrzeug. Durch herabstürzende Trümmer wurden außerdem noch zwei auf der Donau verkehrende Schiffe beschädigt, wobei aber keine Menschen zu Schaden kamen.
Der Fahrbahnträger des Hauptfeldes stürzte auf seiner gesamten Länge ein
© Hans Sladek |
Die ersten Nachrichten in den Medien wurden schon wenige Minuten nach dem Unglück verbreitet. Dabei wurde zunächst auch ein Anschlag durch Terroristen für möglich gehalten. Diese Ursache konnte aber schon zwei Stunden später ausgeschlossen werden. Bereits um 6:30 Uhr trat unter Leitung des damaligen Bürgermeisters Leopold Gratz ein Krisenstab zusammen und traf erste Entscheidungen zur Behebung der Unglücksfolgen.
Dabei wurde sehr schnell klar, dass es keineswegs nur um den Ausfall einer wichtigen Verkehrsader ging. In einer Großstadt wie Wien verlaufen nicht nur wichtige Verkehrswege über Brücken, sondern in ihren Baukörpern befinden sich auch Ver- und Entsorgungsleitungen: Gas, Wasser, Abwasser sowie Kabel für Strom und Telefon. Alle diese Leitungen waren nun unterbrochen und die defekte Gasleitung sorgte zusätzlich für Explosionsgefahr.
Die Sperrung der Schifffahrtsrinne durch die Brückentrümmer sorgte in den nächsten Tagen auf beiden Seiten des Unglücksortes für einen Rückstau der Schiffe. In den ersten Wochen nach dem Unglück kam es zu einem regelrechten 'Katastrophentourismus', denn viele Österreicher aus Nah und Fern wollten sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, das Geschehen um die altehrwürdige Reichsbrücke mit eigenen Augen zu verfolgen.
Die Frage nach den Ursachen für den Einsturz spielte zunächst keine Rolle, denn der Krisenstab hatte vorerst dringendere Probleme zu lösen. Dennoch wurde schon am Nachmittag des Unglückstages bekannt gegeben, dass sich eine hochrangig besetzte Untersuchungskommission zu gegebener Zeit mit den Ursachen des Einsturzes befassen würde.
In den folgenden Wochen und Monaten wurden die Trümmerteile aus der Donau geborgen, eine provisorische Fahrrinne freigebaggert und Vorbereitungen für die Errichtung von insgesamt drei Behelfsbrücken getroffen. Zwei davon waren für die Straßenbahn bestimmt und konnten bereits am 16. Oktober in Betrieb genommen werden. Eine provisorische Brücke für den Straßenverkehr stand ab dem 21. Dezember zur Verfügung.
Der havarierte Bus der Wiener Verkehrsbetriebe
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Für den Bau einer neuen, dauerhaften Reichsbrücke wurde noch im Dezember 1976 eine internationale Ausschreibung durchgeführt. Die Entscheidung fiel im Sommer 1977 zugunsten eines Vorschlages mit einer zweigeschossigen Mehrfeld-Balkenbrücke aus Stahlbeton und schon im Januar 1978 wurde mit dem Bau der dritten Reichsbrücke begonnen.
Am 9. März 1977 legte die Kommission zur Aufklärung der Einsturzursachen der Öffentlichkeit ihren ersten mit Spannung erwarteten Bericht vor. Die Fachleute kamen zu dem Ergebnis, die eigentliche Ursache für den plötzlichen Einsturz sei das Abscheren des östlichen Pfeilers knapp unterhalb des Pylonauflagers gewesen. Dadurch rutschte der Pylon seitlich ab und stürzte mitsamt den Ketten und dem Fahrbahnträger in die Donau.
Der Pfeilersockel bestand in diesem Bereich aus unbewehrtem Beton, der mit Granitplatten verblendet war. Eigentlich handelte es sich nicht um tragendes Bauwerksteil, sondern um eine Art Schutzbeton für den darin eingebetteten eisernen Auflagerost. Durch die Verkleidung war es nicht möglich gewesen, den Beton bei den regelmäßigen Überprüfungen Angeblich war die Brücke im Unglücksjahr bereits sieben Mal überprüft worden. in Augenschein zu nehmen und auch eine zerstörungsfreie Prüfung der Bausubstanz war unmöglich.
Auch die Fachleute hätten nicht damit gerechnet, dass der Pfeiler in seinem Inneren so stark beschädigt sein könnte. Insofern kam die Kommission zu dem Schluss, dass den für die Wartung und Sicherheit der Brücke zuständigen Personen kein persönlicher Vorwurf gemacht werden könne. Wie schon so häufig nach Brückeneinstürzen zogen die Fachleute dennoch viele Lehren aus dem Untersuchungsbericht.
Das eingestürzte Portal und die zerborstenen 'Ketten'
© Hans Sladek |
Die dritte und bis heute bestehende Reichsbrücke wurde am 8. November 1980 vom österreichischen Bundespräsidenten Kirchschläger und Oberbürgermeister Gratz eröffnet. Die Spannbetonbrücke besteht aus mehreren Brückenfeldern wobei die zentrale Spannweite über der Donau 140 m beträgt. Auf der oberen Verkehrsebene befinden sich die Fahrspuren für Kraftfahrzeuge und innerhalb des Hohlkastens verkehren die Linien der Wiener U-Bahn.
Vergleichsweise glimpflich verlief ein neuerlicher Unfall am 10.06.2004: das unter deutscher Flagge fahrende Motorschiff "Viking Europe" rammte bei einem missglückten Wendemanöver einen Flusspfeiler der Reichsbrücke. Auf dem Schiff wurden 19 Menschen leicht verletzt aber die Brücke trug nur ein paar unbedeutende Kratzer davon.
In den letzten Jahren wurde die Reichsbrücke umfangreich restauriert. Unter anderem erhielt sie breitere Gehwege und behindertengerechte Rampen. Im Jahre 2005 wurde die neue Reichsbrücke 25 Jahre alt, ein Jubiläum das die Wiener mit einem Festakt auf der Donauinsel gebührend feierten.
Quellen:
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