Sevilla / Spanien
Die 'EXPO92-Brücke' zur Isla de la Cartuja
© Bernd Nebel |
Großveranstaltungen wie z.B. die Olympischen Spiele, Fußballturniere oder auch die Bundes-Gartenschau geben den beteiligten Städten oft die Gelegenheit, ihre Infrastruktur mit Zuschüssen aus externen Quellen zu verbessern, die ihnen sonst nicht zur Verfügung stehen. In besonderem Maße trifft dies auch auf die EXPO, die internationale Weltausstellung zu.
Der oberhalb der Fahrbahn gelegene Fußweg und der Pylon mit den Kabelpaaren © Bernd Nebel |
Als die "EXPO 1992" ins andalusische Sevilla vergeben wurde, war dies nicht anders. Passend zum 500. Jubiläum der Entdeckung Amerikas durch Spanien, Christoph Kolumbus stammte zwar aus Genua, aber die von ihm geleitete Expedition wurde von Spanien finanziert lautete das Thema der Ausstellung: "Zeitalter der Entdeckungen". Im Vorfeld der Veranstaltung wurden neue Straßen, Autobahnen, Eisenbahnstrecken, ein Theater sowie viele neue Hotels gebaut und der internationale Flughafen erweitert.
Über den Guadalquivir und seinen Nebenarm sollten insgesamt acht neue Brücken errichtet werden. Eine davon sollte über den Meandro San Jerónimo (ein abgetrennter Nebenarm des Rio Guadalquivir) zur Cartuja-Insel führen. Da sich auf dieser Insel das eigentliche EXPO-Gelände befand, maß man der Gestaltung dieser Brücke besondere Bedeutung bei. Eigentlich ging es dabei gleich um zwei Brücken, denn die Insel sollte in ost-westlicher Richtung von beiden Seiten eine Zufahrt erhalten.
Unter den Bewerbern war auch der spanische Architekt Santiago Calatrava, von dem zu diesem Zeitpunkt in Spanien bereits zwei Brückenentwürfe verwirklicht worden waren. Calatrava, der sowohl Ingenieur als auch Architekt ist, eilte schon damals ein glänzender Ruf voraus. Er legte der Autonomen Region Andalusien, dem Auftraggeber der Brücken, einen spektakulären Entwurf vor, der seinem internationalen Renommee weiteren Auftrieb geben sollte.
Die Inspiration für seinen Entwurf bezog er nach eigenen Angaben aus einer von ihm selbst gestalteten Skulptur, die er "Running Torso" nannte. Sie besteht aus treppenförmig aufeinander gestapelten Marmorwürfeln, die von einem gespannten Drahtseil in ihrer Position gehalten werden ( Bild). Calatrava entwickelte daraus eine Schrägseilbrücke mit nur einem Pylon, der sich von der Brückenmitte weg in einem Winkel von 32° zur Vertikalen nach hinten oder 58° von der Horizontalen nach oben neigt. Von diesem Pylon gehen 13 Seilpaare in harfenförmiger Anordnung zum Brückenträger. Der Querschnitt des Brückenträgers besteht aus einem sechseckigen Hohlkasten, auf dessen oberer Seite der Gehweg verläuft.
Eigentlich umfasste Calatravas Vorschlag eine größere Dimension, denn er wollte auch die westliche Zufahrt zur Cartuja-Insel über den Guadalquivir mit einer gleichen, spiegelbildlich angeordneten Brücke überspannen. Die beiden Brücken hätten einen Abstand von ca. 1,5 km gehabt, sodass - zumindest die hohen Pylone - in Sichtweite gewesen wären. In Calatravas Vorstellung hätten die beiden zueinander geneigten Pylone ein imaginäres riesiges Dreieck ergeben, dessen Spitze hoch in den Himmel ragen sollte. Sie hätten, so der Architekt, gemeinsam ein riesiges "Tor zum spanischen Norden" gebildet.
Die Alamillobrücke während der Bauarbeiten. Die einzelnen Segmente des Pylons sind gut zu erkennen. 10 der 13 Kabelpaare sind bereits montiert. Ganz rechts ist unter der Brücke das Lehrgerüst zu erkennen, das parallel mit dem Baufortschritt demontiert wurde. © Anual / wikimedia |
Zumindest während der EXPO hätten auf den beiden Brücken Laser installiert werden sollen, mit denen die Pylone bei Nacht mit gebündelten Lichtstrahlen in den Himmel verlängert worden wären, bis sie sich in großer Höhe gekreuzt hätten. Da sich die politischen Gremien Andalusiens gegen die symetrische Zwei-Brückenlösung entschieden, wurde aber nichts daraus und es blieb bei der einzelnen Brücke über den Meandro. Möglicherweise ahnten die politisch Verantwortlichen zu diesem Zeitpunkt schon, dass die spektakuläre Brücke auch nicht ganz billig werden würde. Nach den Kostenschätzungen sollte die Alamillobrücke nämlich allein schon 30% der Gesamtkosten aller acht neuen Brücken Sevillas ausmachen.
Für sich betrachtet ist die Alamillobrücke dadurch aber keineswegs weniger spektakulär. Die Bauarbeiten dauerten von 1987 bis kurz vor Beginn der EXPO. Der Pylon besteht aus vorgefertigten Stahlsegmenten, die mit einem Kran in ihre Position gehoben und an Ort und Stelle verschweißt wurden. Um die statisch erforderliche Masse des Pylons zu erreichen, wurde er anschließend fast vollständig mit Beton verfüllt. In seinem Inneren ist aber ein begehbarer Kontrollschacht vorhanden, der bis zu seiner Spitze führt.
Calatrava wollte den Träger im freien Vorbau errichten, wie es bei Schrägseilbrücken eigentlich üblich ist. Er hätte also jedes Segment des Pylons durch ein Kabelpaar direkt mit einem Abschnitt des Trägers verbunden und dadurch das Lehrgerüst für den Träger gespart. Auch dieser Vorschlag wurde aber von den Auftraggebern abgelehnt.
Querschnitt durch den Fahrbahnträger der Alamillobrücke (vereinfachte Darstellung). Die Kabel greifen direkt am Hohlkastnträger mit 6-eckiger Grundstruktur an. Zwischen den Kabeln verläuft der höher gelegene Gehweg. Die Fahrbahn (zwei Spuren je Fahrtrichtung) befinden sich auf den Auslegern. © Bernd Nebel |
Der Pylon hat eine Höhe von 142 Metern. Der Fahrbahnträger ist insgesamt 250 m lang, wovon die freie Spannweite 200 m ausmacht. Da es auf dem Meandro San Jerónimo (außer Ruderbooten) praktisch keine Schifffahrt gibt, wurden an die lichte Höhe über der Wasseroberfläche keine besonderen Anforderungen gestellt.
Wie bei den meisten Bauwerken Calatravas beherrscht auch bei allen Teilen der Alamillobrücke die Farbe Weiß das optische Erscheinungsbild. Von weitem betrachtet hat man das Gefühl, dass sich der Pylon nach hinten neigt, um sich den Kräften aus den Kabeln entgegenzustemmen, etwa so wie es ein Athlet beim Tauziehen macht.
Sicherlich gibt es noch andere Schrägseilbrücken, die von einem einzigen, nach hinten geneigten Pylonen gehalten werden, wie z.B. die Erasmusbrücke in Rotterdam oder die Donaubrücke in Bratislava. Die Alamillobrücke ist aber die einzige Brücke der Welt, deren Pylon über keine Rückverankerungen verfügt. Die Fahrbahn wird ausschließlich von der Masse des Pylons im Gleichgewicht gehalten. Bei starker Belastung durch hohes Verkehrsaufkommen auf der Brücke, richtet sich der Pylon leicht auf.
Von weitem wirkt die Brücke wie eine auf dem Rücken liegende Harfe und man hat das Gefühl der Pylon müsse jeden Moment umkippen. Auf diese Weise wird der Kräfteverlauf im Bauwerk sichtbar und die statische Wirkungsweise der Konstruktion erschließt sich auch technisch weniger versierten Betrachtern.
Auch ohne Laserinstallation macht die Alamillobrücke bei Nacht eine gute Figur
© Frank Rüping |
Heute, über 30 Jahre nach ihrer Entstehung kann man feststellen, dass sich viele Architekten und Ingenieure von der Alamillobrücke inspirieren ließen. Calatrava ist ohnehin ein stilbildender Architekt, der in den vergangenen drei Jahrzehnten großen Einfluss auf die Gestaltung von Bauwerken genommen hat. Und auch er selbst scheint sehr zufrieden mit der Alamillobrücke zu sein. Jedenfalls kehrt er immer wieder zu dem Sujet "Weiße Schrägseilbrücke mit geneigtem Einzelpylon" zurück. Natürlich kopiert er sich dabei nicht selbst, sondern schafft immer wieder neue und überraschende Variationen dieses Themas. Als Beispiele seien hier die Katehakibrücke in Athen und die Samuel-Bekett-Brücke in Dublin genannt. Den Pylon ohne Rückverankerung hat aber auch Calatrava bisher nicht wiederholt.
Die Fahrbahn verfügt über einen 3,75 m breiten, höher gelegten Rad- / Gehweg, der in der Mitte zwischen den Fahrspuren verläuft. Dies kann man durchaus als Reminiszenz an die Brooklyn Bridge und deren Erbauer Johann A. Röbling verstehen. Der Fußweg aus hölzernen Planken mit dem gelbem Mittelstrich ist ein bekanntes Fotomotiv und ein unverkennbares Markenzeichen New Yorks.
Die Alamillobrücke ist mehr als nur ein zweckmäßiges Infrastruktur-Bauwerk, sie ist auch ein Kunstwerk oder wie man heute sagen würde: ein 'Landmark', also ein landschaftsprägendes Architekturobjekt. Waren die klassischen Wahrzeichen der andalusischen Hauptstadt noch der Tore del Oro sowie die Kathedrale mit dem Sarkophag des Christoph Columbus und der aus maurischer Zeit stammenden Giralda, so ist es heute der aus großer Entfernung sichtbare, weiße Pylon. Die Alamillobrücke ist das Symbol des modernen, zukunftsorientierten Sevilla.
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