Hängebrücken

Kettenbrücken, Drahtseilbrücken, Zugbandbrücken
Zu Mischformen siehe bei Schrägseilbrücken

Die Kettenbrücke in Mülheim / Ruhr
Die ehemalige Kettenbrücke in Mülheim / Ruhr. Sie wurde am 13.11.1844 offiziell als Friedrich-Wilhelm-Brücke eingeweiht.
Ihre Ketten waren in den oberen Pylonabschnitten an gusseisernen Pendeln aufgehängt, wodurch sie sich in beiden
Richtungen frei bewegen konnten. Nach mehrfachen Verstärkungen 1909 wegen statischer Probleme abgebrochen.
Hängebrücke im Himalaya
Hängebrücke aus Bambus im Himalaya. Das Foto
wurde 2004 in der Nähe von Along / Nordost-Indien
(Stammesgebiet Arunachal Pradesh) aufgenommen.

Brief summary:

Today, the suspension bridge is considered the queen of bridges because it can achieve the largest spans. Yet it was still practically unknown in Europe at the beginning of the 19th century. Its development was accompanied by both great successes and terrible disasters.

Die Hängebrücke gilt heute als Königin unter den Brücken, weil mit ihr die größten Spannweiten erzielt werden können. Dabei war sie in Europa zu Beginn des 19. Jhd. noch praktisch unbekannt. Ihre Entwicklung wurde von ebenso großen Erfolgen wie auch schrecklichen Katastrophen begleitet.

Im Grunde genommen war es immer die Natur, die der Menschheit die entscheidenden Impulse für den Bau einer Brücke gab. Das trifft auf alle Brückenarten zu: seien es die Balkenbrücken, die durch einen über einen Bachlauf gestürzten Baumstamm inspiriert wurden, die Bogenbrücken, die sich vom Gewölbe einer natürlich geformten Höhle ableiten lassen oder auch die Auslegerbrücken, für die der weit auskragende Ast eines Baumes als Anregung dienen konnte.

So stammt auch das Prinzip der Hänge- und Schrägseilbrücken letztlich aus der Natur. Besonders in tropischen Regionen gibt es langfaserige Pflanzen wie z.B. Lianen, die ein Seil ersetzen können und mit deren Hilfe man sich über eine Schlucht hangeln kann, vorausgesetzt die Enden sind gut befestigt. Die Ursprünge für den planvollen Bau von Hängebrücken findet man, insofern nicht ganz überraschend, in den tropischen Regionen Asiens und Südamerikas.


Erste Berichte von Missionaren und Abenteurern

Da solche Materialien in Europa nicht vorkommen, waren Hängebrücken hierzulande bis in die industrielle Zeit völlig unbekannt, denn hier baute man mit Stein und Holz. Materialien also, die fast ausschließlich auf Druck beansprucht werden können. Das statische Prinzip einer Hängebrücke setzt aber Baustoffe voraus, die vorwiegend auf Zug belastbar sind und aus denen Drähte oder Ketten hergestellt werden können. Natürlich waren auch in Europa etwa zu Beginn unserer Zeitrechnung schon Hanfseile bekannt. Um auf die Idee zu kommen, mit diesem Material eine Brücke zu bauen, fehlte es aber ganz einfach an den natürlichen Vorbildern.

Mit Beginn der Neuzeit tauchten durch die Möglichkeiten des soeben erfundenen Buchdrucks in Europa erste Berichte von Missionaren, Abenteuerreisenden und Naturforschern auf, in denen erstmals über seltsame, hängende Brücken berichtet wurde. So veröffentlichte der aus dem heutigen Kroatien stammende Universalgelehrte Faustus Verantius im Jahr 1595 das Buch "Machinae Novae", in dem Erfindungen aus den verschiedensten technischen Bereichen vorgestellt wurden. Darunter befanden sich auch mehrere Zeichnungen von Brücken aber auch ganz anderen Vorrichtungen, mit denen man ein Hindernis überwinden kann. Neben den damals gebräuchlichen Balken- und Bogenbrücken aus Holz und Stein enthält das Buch aber auch Zeichnungen von Hänge- und Schrägseilkonstruktionen, die heute als die ältesten in Europa veröffentlichten Darstellungen dieser Brückenarten gelten können.

Die Zeichnung der Hängebrücke trägt den Titel "Pons Canabeus" (die Hanfbrücke), und enthält alle Elemente die diese Brückenart ausmachen. An den Ufern eines Flusses befinden sich Pylone, von denen zwei Seile parabelförmig durchhängend über das Wasser gespannt sind. An diesen Tauen sind mit einer Vielzahl von Umlenkrollen vertikale Hänger befestigt, welche die hölzerne Brückenbahn tragen. Auch die statisch erforderlichen rückwärtigen Verankerungen hinter den Pylonen fehlen nicht.

Bis heute ist nicht abschließend geklärt, ob es sich um Reiseberichte (z.B. aus Asien) handelt und die Brücken reale Vorbilder hatten oder ob Verantius die Zeichnungen ausschließlich nach seiner eigenen Fantasie gezeichnet hat. Letzteres wäre eine erstaunliche Leistung, denn dann müsste er als europäischer "Erfinder" der Hängebrücken gelten. Ganz auszuschließen ist dies nicht, denn Machinae Novae enthält z.B. auch eine der ersten bekannten Darstellungen eines Fallschirms Leonardo da Vinci hatte aber bereits 1483 einen Menschen skizziert, der an einem großen quadratischen Segel in der Luft schwebt, also über 100 Jahre früher..


"Kuriose Brücken" in fernen Ländern

Im Jahr 1667 erschien in Amsterdam das Werk "China Illustrata" des Jesuitenpaters Athanasius Kircher. Kircher wurde 1602 im hessischen Geisa (Rhön) geboren und gilt als einer der größten Gelehrten seiner Zeit. Allerdings ist er auch nicht ganz unumstritten, weil es ihm z.B. nicht gelang, sich von der biblischen Vorstellung eines geozentrischen Weltbildes zu lösen. Der vollständige Titel des Werkes ist deutlich länger und bedeutet so viel wie: "China illustriert in seinen heiligen und weltlichen Denkmälern". Kircher war selbst niemals in China aber er gab hier Berichte der Missionare vor Ort weiter. In diesem Buch wird schon eine Hängebrücke mit eisernen Ketten in der Provinz Yunnan beschrieben. Aus dem Lateinischen übersetzt heißt es dort:

Die Brücke bei Kingtung
"Eine sehr curieuse Brücke von Ketten bei der Stadt Kintany in China".
Zuerst veröffentlicht von Athanasius Kircher im Jahr 1667.

"Nicht aus Ziegel- oder Steinmauerwerk, sondern aus dicken eisernen Ketten, die mit Haken an Ringen beiderseits in den Bergen befestigt sind, wurde mit aufgelegten Bohlen die Brücke errichtet. Zwanzig Ketten sind es, von denen jede eine Länge von 300 Spannen (ca. 64 m) hat. Wenn mehrere sie zugleich überschreiten, schwankt sie und bewegt sich hin und her."

Seilbrücken aus Naturfasern gab es aber noch viel früher. Man geht heute davon aus, dass in Indien und China schon um 2000 v.Chr. einfache Hängebrücken gebaut wurden und somit der Ursprung dieses Brückentyps wohl in Asien zu finden ist. Bereits 1776 gab es in der Provinz Szetschuan eine 200 m lange Hängebrücke aus Bambus. Man kann nur vermuten, dass sie zu diesem Zeitpunkt die am weitesten gespannte Brücke der Welt war.

Eine umfassende frühe Veröffentlichung über den damaligen Stand des Brückenbaus ist "Theatrum Pontificale - oder Schau-Platz der Brücken und Brücken-Baus" von Jacob Leupold. Das Werk war offensichtlich sehr beliebt, denn es wurde nach dem Erstdruck im Jahre 1726 vielfach neu aufgelegt. Leupold, der sich selbst als "Mathematico und Mechanico" bezeichnete, trug das gesamte damals vorhandene Wissen über Brücken zusammen. Dabei ging es natürlich vorwiegend um Holz- und Steinbrücken aber ganz am Ende seines Buches handelte er noch die Hängebrücken ab, allerdings eigentlich nur als Kuriosität. Unter § 321 heißt es dort:

Obschon die Zahl der Kupfer-Platten um ein vieles mehr angewachsen, so hat man dennoch der Curiosis zu Liebe; noch etwas von besondern Chinesischen Brücken beyfügen wollen, und zwar erstlich... eine Brücke da von einem hohen Berge bis zum anderen durch gewaltige starke eiserne, und mit Brettern belegte Ketten eine Brücke in freyer Lufft gebauet und mit Erstaunen zu sehen ist. Sie soll in China bey der Stadt Kintany erbauet seyn."

Außer in Asien gab es auch in Südamerika eine unabhängige Entwicklung von Seilbrücken. Alexander von Humboldt und andere Forschungsreisende berichten uns ab Mitte des 18. Jhd. von Hängebrücken, die in den Kordilleren und anderen Regionen Südamerikas über tiefe Schluchten führten. Berühmt geworden ist die Zeichnung eines Malers aus Humboldts Expedition, welche die "Brücke bei Penipe" (südlich von Quito, Ecuador) über den Fluss Chambo zeigt.

Die meisten dieser Brücken unterschieden sich deutlich von neuzeitlichen Hängebrücken, denn meist lag der Bodenbelag direkt auf den Tragseilen und folgte somit dem parabelförmigen Seildurchhang. Komfortabel wird die Benutzung einer Hängebrücke für Menschen und Tiere aber erst durch die Verwendung von senkrechten Hängeseilen, sodass die Brückenbahn horizontal ohne größere Steigung verläuft.


Erste Hängebrücken aus Eisen in Amerika und Europa

Erste brückenartige Bauwerke mit Hilfe von Seilkonstruktionen gab es in Europa schon ab dem 13. Jhd. Allerdings handelt es sich dabei vorwiegend um temporäre Hilfsbauwerke für militärische Zwecke, die keiner wirklichen Brücke entsprachen. Auch die historisch verbürgte Twärrenbrücke in der Schweiz (1218) war in statischer Hinsicht eigentlich keine Hängebrücke, sondern eher ein Holzbrett, das mit Ketten an einem Felsvorsprung aufgehängt Eigentlich also eine Balkenbrücke die nicht durch Widerlager unterstützt, sondern aufgehängt war. war.

Die Geschichte moderner Hängebrücken beginnt in Europa (und ebenso in Nordamerika) erst viel später, nämlich in der Mitte des 18. Jhd. Sie ist eng mit der Herstellung und Weiterentwicklung hochwertigen Eisens verbunden. Das zunächst hergestellte Gusseisen war sehr spröde, weder elastisch noch zugfest und dadurch für den Bau von Hängebrücken ungeeignet. Erst mit der Erfindung des Schmiedeeisens stand endlich ein elastisches Material zur Verfügung, mit dem sich das nunmehr bekannte Prinzip einer Hängebrücke umsetzen ließ.

Als eiserner Ersatz für ein Seil, z.B. aus Hanf, hatten sich zu dieser Zeit schon seit Jahrtausenden Ketten bewährt. Sie wurden z.B. für Schöpfwerke in Brunnen verwendet, auf Schiffen als Ankerketten oder zum Aufhängen von Kochtöpfen über offenen Feuerstellen. Insofern war es naheliegend, ein bekanntes und gut beherrschbares System wie die Kette auch im Brückenbau einzusetzen. Zunächst gab es auch gar keine Alternative zu Ketten, obwohl es schon seit Jahrhunderten mühsam hergestellten Draht gab. Das Unternehmen Gruber-Podmer-Stromer in Nürnberg hatte z.B. schon 1415 eine mit Wasserkraft betriebene halbautomatische Drahtziehmaschine vorgestellt. Allerdings fehlte es zunächst noch an technischen Möglichkeiten die Kraft der vielen einzelnen Drähte zu bündeln.

James Finleys Hängebrücken-Patent
Darstellung einer Ketten-Hängebrücke in der Patentschrift James Finleys (1808).
Seine erste Brücke nach diesem System baute Finley aber schon 1801.

Neben Ketten und Drahtkabeln gibt es mit den Bandeisenbrücken noch eine dritte Variante von Hängebrücken, die heute aber stark an Bedeutung verloren hat. Bei einer solchen Brücke werden die Zugkräfte weder über eine Kette noch über ein Kabel, sondern über zusammengenietete oder geschweißte Blechstreifen übertragen, die dadurch aber auch wie ein Seil wirken. Beispiele für heute noch vorhandene Bandeisenbrücken sind das "Blaue Wunder" in Dresden, der Eiserne Steg in Frankfurt und die Glienicker Brücke in Potsdam.


Es begann mit Kettenbrücken

Die ersten Hängebrücken waren mehr oder weniger Versuchsobjekte, die nach Erfahrung oder "statischem Gefühl" ihrer Erbauer dimensioniert wurden. Ein besseres Verständnis für die statischen Zusammenhänge und eine erste wissenschaftliche Aufarbeitung seilverspannter Brücken wurde 1823 von dem Franzosen Claude Navier (1785-1836) vorgelegt. Das Werk trug den Titel "Mémoire sur les ponts suspendus" und wurde bereits 1825 auszugsweise in deutscher Sprache veröffentlicht. Herausgeber der deutschen Ausgabe mit dem Titel "Naviers Abhandlung über Kettenbrücken" war Johann Friedrich Wilhelm Dietlein (1787-1837) von der Berliner Bauakademie.

Frühe deutsche Hängebrücken
(z.T. heute nicht mehr vorhanden oder nicht mehr auf deutschem Staatsgebiet)
Baujahr Name Ort Typ Spannweite Beteiligte
1824 Kettensteg Nürnberg Ketten 33 m Johann G. Kuppler
1827 Egerbrücke Saaz
[Zatec / CZ]
Ketten 61 m Friedrich Schnirch
1827 Malapanebrücke Malapane
[Ozimek / PL]
Ketten 31 m Karl Schottelius
1829 Ludwigsbrücke Bamberg Ketten 64 m Franz Schierlinger
1830 Kettenbrücke Nassau / Lahn Ketten 75 m Johann Wilhelm Lossen
1838 Löwenbrücke Berlin Draht 17 m Ludwig Ferdinan Hesse
1839 Weserbrücke Hameln Ketten 95 und 82 m Georg T. Wendelstadt
1841 Kaiser-Franzens-Brücke Prag Ketten Friedrich Schnirch
1842 Elbebrücke Podiebrad
[Podebrady / CZ]
Ketten 101 m Friedrich Schnirch
1844 Friedrich-Wilhelm-Brücke Mülheim Ketten 94 m August Malberg
1845 Neckarbrücke Mannheim Ketten 93 m Georg T. Wendelstadt
1864 Weserbrücke Porta-Westfalica Ketten
1868 Franz-Joseph-Brücke Prag Ketten 146 m Rowland M. Ordish
1893 Seilbrücke Wetter a.d. Ruhr Draht 52 m Hermann Schülke
1898 Argenbrücke Kressbronn Draht 72 m Karl von Leibbrand

Da bei den aus Asien bekannten eisernen Hängebrücken das Tragwerk aus Ketten bestand, war es zunächst einmal naheliegend, dieses Verfahren zu übernehmen und weiter zu entwickeln. Insbesondere in Großbritannien und Deutschland vertraute man bis ins 20. Jh. hinein fast ausschließlich auf den Gebrauch von Ketten. Man hatte zwar hier wie dort auch Drahtseile ausprobiert, aber vorläufig nur schlechte Erfahrungen damit gemacht.

Eine in der damaligen Zeit bei einem Brückenbau verwendete "Kette" darf man sich allerdings nicht etwa wie eine überdimensionierte Fahrradkette vorstellen. Vielmehr handelte es sich dabei um mehrere Meter lange Eisenstäbe, die in der Regel an jedem Ende mit einem sogenannten "Auge" versehen waren. Die Augen der benachbarten Stäbe wurden übereinandergelegt und dann mit einem Bolzen beweglich miteinander verbunden. Später wurden statt der Augenstäbe auch hochkant gestellte Flacheisen verwendet, bei größeren Brücken, wie z.B. der Menai Strait Bridge auch mehrere Reihen solcher Flacheisen neben- und übereinander.


Das Patent des James Finley

Ausgerechnet ein Richter namens James Finley (1762-1828) baute 1801 im US Bundesstaat Pennsylvania eine 23 m weit gespannte Straßenbrücke über den Jacobs Creek, die heute als die erste moderne Hängebrücke gilt. Der in Irland geborene Finley ließ sich 1808 ein amerikanisches Patent auf diesen Brückentyp ausstellen. In vielen Fachpublikationen wird Finley daher als Erfinder der Hängebrücken bezeichnet. Angesichts der schon erwähnten, mehrere Jahrtausende umfassenden Geschichte dieses Brückentyps in Asien und Südamerika, erzeugt diese Behauptung allerdings einen leichten Beigeschmack von "westlicher Arroganz".

Die Union Chain Brüdge
Die Union Chain Bridge war nach ihrer Vollendung im Jahr 1820 die größte Brücke der Welt. Sie
war eine der ersten Hängebrücken für Straßenverkehr und führt über den englisch-schottischen
Grenzfluss Tweed. Auch heute noch, über 200 Jahre später, wird sie vom normalen
Straßenverkehr (allerdings ohne LKW) genutzt.

Finleys Leistung ist aber dennoch unbestritten, denn erstmals beschrieb er die einzelnen Bestandteile einer Hängebrücke und machte Vorschläge für deren Dimensionierung. Finleys größtes Verdienst ist jedoch die Einführung des versteiften Fachwerkträgers, der dem Problem der Windanfälligkeit vorbeugen sollte. Dies gilt auch unter dem Vorbehalt, dass mehrere seiner Brücken kurze Zeit nach ihrer Fertigstellung einstürzten. Nach Finleys Patent wurden in den frühen Jahren des 19. Jhd. zahlreiche Hängebrücken in den USA gebaut, häufig von John Tempelman.

Die ersten Kettenbrücken in Amerika und Europa waren recht leichte Konstruktionen für Fußgänger und teilweise reine Versuchs- oder Schaubrücken. In diese Kategorie fällt z.B. die 1781 von Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorf hergestellte 10 m weit gespannte Brücke im Wörlitzer Park. Eine noch heute existierende Kettenbrücke für Fußgänger ist die Brücke über die Pegnitz in Nürnberg. Sie wurde von Johann Georg Kuppler im Jahre 1824 errichtet. Die erste für Fuhrwerke geeignete Kettenbrücke Deutschlands war die 1825 vollendete Saalebrücke in Nienburg, die wenige Monate nach ihrer Eröffnung unter dramatischen Umständen einstürzte. In statischer Hinsicht war sie allerdings keine Hängebrücke, sondern eine Schrägseilbrücke.

England war als erstes Land der Welt dazu in der Lage, hochwertiges Eisen in großen Mengen herzustellen und auch im Brückenbau entsprechend einzusetzen. Die erste Kettenbrücke in England stellte der ehemalige Kapitän Samuel Brown fertig, der bei der Royal Navy die Vorteile von eisernen Ankerketten gegenüber Hanfseilen kennengelernt hatte. Er baute 1820 die Union Chain Bridge zwischen England und Schottland über den Tweed. Diese immerhin 129 m weit gespannte Brücke besteht noch heute. Noch früher begonnen aber erst 1825 eröffnet wurde die von Telford errichtete Brücke über die Menai Meerenge. Sie war mit einer Spannweite von 177 m nach ihrer Vollendung die größte Brücke der Welt. Allerdings war sie auch die letzte Kettenbrücke, die diesen Rekord für sich in Anspruch nehmen konnte, denn nun ging die große Zeit der Kettenbrücken langsam zu Ende. Danach waren -bis auf zwei Ausnahmen- immer Brücken mit Drahtseilen die größten Brücken der Welt.

Eines der größten Probleme beim Bau einer Kettenbrücke (und damit ein Nachteil gegenüber Drahtseilbrücken) war das Aufziehen der Ketten, die zumindest teilweise vormontiert sein mussten. Je größer die zu überbrückenden Spannweiten wurden, umso gewaltiger mussten auch die Ketten sein. Das bloße Eigengewicht der eisernen Ungetüme wurde immer schwerer beherrschbar und die Kettenmontage zu einem waghalsigen Unternehmen. Dadurch stiegen auch die Kosten, denn für ein solches Unternehmen brauchte man zahlreiche Arbeiter, Lastkähne und zusätzliche Montageketten. Die Montage der Ketten ist bei der Menai Strait Bridge besonders gut dokumentiert. Der Bericht gibt einen lebhaften Eindruck von den damit verbundenen Schwierigkeiten.


Drahtkabelbrücken

In Frankreich, der Schweiz und in den USA setzte man beim Bau von Hängebrücken schon sehr frühzeitig auf die Verwendung von Drahtseilen. Die erste jemals gebaute Drahtseilbrücke ist vermutlich eine 124 m weit gespannte Brücke über den Schuylkill in Fairmount bei Philadelphia. David B. Steinman beschreibt sie in seinem Buch "The Builders of the Bridge" (deutsche Ausgabe: "Brücken für die Ewigkeit", Werner-Verlag 1957). Sie wurde im Jahre 1816 von zwei Drahtfabrikanten namens White und Hazard erbaut, soll aber bereits im ersten Winter unter der Last von Schnee und Eis zusammengebrochen sein. Noch im gleichen Jahr wurde in Galashiels / Schottland eine 35 m weit gespannte Kettenbrücke zu einer Drahtseilbrücke umgebaut. Sie war somit die erste Drahtseilbrücke Europas, wurde aber 1839 bei einem Hochwasser zerstört.

Die Argenbrücke bei Kressbronn
Die erste deutsche Drahtseil-Hängebrücke für Straßenverkehr: die Argenbrücke
zwischen Kressbronn und Langenargen, kurz nach ihrer Vollendung im Jahr 1898.

Richtig in Schwung kam der europäische Bau von Drahtseilbrücken insbesondere durch die Aktivitäten der Brüder Seguin, die ab 1820 in Frankreich ca. 200 Hängebrücken errichteten. Insgesamt waren es vier Brüder, die an den Bauwerken beteiligt waren, aber Marc Seguin (1786-1875) war als Kopf des Unternehmens für die Entwürfe und die Berechnungen zuständig. Nach einigen kleineren Fußgängerbrücken bauten die Seguins unter anderem zwei Drahtseilbrücken in Tournon sur Rhone (1825 und 1849), von denen die jüngere noch heute besteht und nach Marc Seguin benannt wurde. Außerdem bauten sie eine Brücke in Sablons und den Pont Charles Albert bei Genf (1839), der mit 191 m Spannweite die größte Brücke aus dem Hause Seguin war.


Ketten versus Drahtkabel

Die Drahtseilbrücken hatten aber durchaus auch Nachteile gegenüber Kettenbrücken. Ein Problem war die Verbindung der einzelnen Drähte zu einem gemeinsam wirkenden Bauteil. Die Drähte wurden parallel nebeneinandergelegt und zum Schluss mit einem geglühten Draht umwickelt, der das Rosten verringern sollte. Bei diesem Verfahren kam kein wirklicher Kraftschluss zwischen den einzelnen Drähten zustande. Wenn es nicht gelang die einzelnen Drähte gleichmäßig mit den auftretenden Zugkräften zu belasten, war das System nicht beherrschbar. Sofort nach dem Reißen eines zu stark belasteten Drahtes, mussten andere Drähte noch stärkere Zugkräfte aufnehmen, wodurch sich eine Art Dominoeffekt einstellen konnte.

Dieses Problem konnte 1834 aber durch eine Erfindung des Oberbergrats Julius Albert in Clausthal gelöst werden. Albert erfand das "geschlagene" Drahtkabel, das ähnlich wie ein Hanfseil mithilfe einer Verseilmaschine hergestellt werden konnte. Mit diesem Verfahren stellte er Drahtlitzen her, die aus einer bestimmten Anzahl von Drähten bestanden, die durch das Verdrehen fest miteinander verbunden waren. Ein starkes Drahtkabel bestand dann in der Regel wieder aus mehrerer solcher Litzen. Allerdings hatte dies natürlich zur Folge, dass die Drahtkabel ein viel größeres Gewicht hatten als Einzeldrähte und daher, wie die Ketten, zunächst als Ganzes über die Pylone gezogen werden mussten.

Ein noch größeres Problem der Drahtkabel war ihre Empfindlichkeit gegen Korrosion. Während man Ketten relativ leicht mit Schutzanstrichen versehen konnte, kam man an die innenliegenden Drähte einer Drahtlitze nicht mehr heran. Alle möglichen Verfahren wurden ausprobiert um ein Drahtkabel vor Witterungseinflüssen zu schützen, was zunächst aber nicht befriedigend gelang. Bei vielen Brücken mussten daher die Kabel schon nach relativ kurzer Zeit wieder ausgetauscht werden. Noch schlimmer war es, wenn die Drähte in den Verankerungskammern korrodierten, weil sie im Grundwasser lagen oder bei Hochwasser geflutet wurden.

Diese Probleme waren sehr ernst und führten zu mehreren Brückeneinstürzen mit teilweise katastrophalen Folgen. Z.B. war der Einsturz der Hängebrücke von Angers im Jahre 1850 auf Korrosion in den Ankerkammern zurückzuführen. Mitte des 19. Jhs. stürzten in Frankreich, das damals führend im Bau von Drahtkabelbrücken war, noch mehrere Bauwerke diese Art ein und 1849 brach Charles Ellets vielgelobte Wheelingbrücke in Amerika ein. Obwohl hin und wieder auch Kettenbrücken einstürzten, schien es nun eine Zeit lang so, als ob sich die Drahtbrücken nicht durchsetzen könnten.


Die Entwicklung des Luftspinnverfahrens

Ein entscheidender Schritt bei der Weiterentwicklung der Drahtseiltechnik gelang 1834 beim Bau des Grand Pont Suspendu im schweizerischen Fribourg. Joseph Chaley (1795-1861) entwickelte beim Bau der Brücke über das Saanetal das von Henry Vicat erfundene Luftspinnverfahren entscheidend weiter. Mit diesem Verfahren ging man also schon wieder weg von den geschlagenen Drahtseilen und kam zurück auf die parallel liegenden Einzeldrähte. Durch das Luftspinnverfahren mussten die schweren gedrehten Kabel nicht mehr mühsam über die Pylone gezogen werden, sondern konnten Draht für Draht in Position gebracht und erst dann zu einem Kabel zusammengepresst werden. Bei der Fribourger Brücke bestand jedes Hauptkabel immerhin schon aus 1.056 Einzeldrähten mit Durchmessern von jeweils 3,08 mm. Der Grand Pont Suspendu war nach seiner Eröffnung mit einer Spannweite von 273 m die größte Brücke der Welt.

Eingestürzte Hängebrücken
(Auswahl)
Name Ort Land (heute) Typ Jahr Beteiligte
Chainbridge Essex-Merrimack Newburyport USA Ketten 1827 John Templeman
Broughton Suspension Bridge Broughton England Ketten 1831 Samuel Brown ?
Yarmouth Suspension Bridge Yarmouth England Ketten 1845 Robert Cory
Pont de la Basse-Chaine Angers Frankreich Draht 1850 Joseph Chaley
Théodore Bordillon
Pont de la Roche-Bernard Roche-Bernard Frankreich Draht 1852 Pierre Leblanc
Rhonebrücke Peney Peney Schweiz Draht 1853 Guilliaume Henri Dufour
Hermann Hug
Wheeling Brücke Wheeling USA Draht 1854 Charles Ellet
Ostravabrücke Mährisch-Ostrau Tschechien Ketten 1886 Josef Seifert
Franz Thannabauer
Ägyptische Brücke St. Petersburg Russland Ketten 1905 Wilhelm von Traitteur
Tacoma Narrows Bridge Tacoma USA Draht 1940 Leon S. Moisseiff
Silver Bridge Point Pleasant USA Ketten 1967
Reichsbrücke Wien Österreich Ketten 1976

Das Luftspinnverfahren wurde später von Johann A. Röbling noch einmal entscheidend verbessert und kommt bis heute beim Bau von Hängebrücken zur Anwendung. Der Vorteil der leichteren Kabelmontage gegenüber dem umständlichen Verfahren bei Kettenbrücken und auch der verbesserte Korrosionsschutz führten schließlich zu einem Vorteil für die Drahtkabel. Mehr als ein Jahrhundert lang waren die beiden Verfahren nebeneinander zur Anwendung gekommen, bis sich die Kabelbrücken endgültig durchsetzen konnten.

Eine der ersten Drahtseilbrücken Deutschlands war die Argenbrücke bei Langenargen am Bodensee. Sie wurde 1898 mit einer Spannweite von 72 m eröffnet und besteht noch heute. Ihre Kabeldurchmesser sind noch relativ klein, sodass man hier noch geschlagene Drahtlitzen verwenden konnte. Man kann dies gut an der Struktur der Kabel erkennen, die wie bei einem Hanfseil aussieht. Die Argenbrücke blieb aber vorerst eine Ausnahme, denn in Deutschland blieb man lange kritisch gegenüber Drahtseilbrücken und baute bis in die 1920er Jahre hinein vorwiegend mit Ketten.


Hängebrücken heute

Spätestens mit dem Bau der Brooklyn Bridge in New York war der Wettbewerb zwischen Drahtseil- und Kettenbrücken endgültig entschieden, denn durch diese Brücke wurden die Grenzen der bis dahin für möglich gehaltenen Spannweiten erheblich ausgedehnt. Der aus Deutschland stammende Johann August Röbling vergrößerte mit ihr den Spannweitenrekord um ganze 51%. Dabei übertrumpfte er sich selbst, denn er hatte auch den vorherigen Rekordhalter, die Cincinnati-Covington Brücke, gebaut. Zu keiner Zeit kam eine Kettenbrücke auch nur annähernd an die Spannweite der Brooklyn Bridge Die größte jemals gebaute Kettenbrücke ist die Hercilio-Luz-Brücke in Brasilien aus dem Jahr 1926. Sie hat eine Hauptspannweite von 339 m. (486 m) heran.

Röbling erkannte die entscheidende Bedeutung der Tragwerksversteifung bei Hängebrücken und setzte dieses Wissen durch Einsatz massiver Fachwerkträger konsequent um. Für sehr lange Zeit galt dies als einzige Möglichkeit um Hängebrücken ausreichend Steifigkeit zu geben und ihrer Empfindlichkeit gegen Seitenwind etwas entgegenzusetzen.

Allerdings waren die wuchtigen Träger optisch nicht immer befriedigend. Eine bessere Lösung wurde erstmals beim Bau der Humber Bridge (1981) bei Hull in England realisiert. Ihr windschnittiger Träger war der Form einer Flugzeugtragfläche nachempfunden und wurde durch die Materialersparnis und bessere architektonische Wirkung zum Vorbild späterer Großbrücken.

Eine Ausnahme in dieser Hinsicht und in gewisser Weise auch ein "Rückfall" bedeutete der Bau der Akashi Kaikyo Brücke in Japan, die nach ihrer Vollendung die größte Brücke der Welt war. Bei ihr kam nach Jahrzehnten erstmals wieder der versteifte Fachwerkträger zum Einsatz. Allerdings hatte dies durchaus gute Gründe, denn die Akashi Kaikyo Brücke wurde in einer Region mit außergewöhnlich heftigen Stürmen und häufigen Erdbeben errichtet. Das Tragwerk dieser Brücke kann bei extremen Bedingungen dem Wind ohne Beschädigungen bis zu 27 Meter seitlich ausweichen.

Der Spannweitenweltrekord wurde seit dem Bau des Grand Pont Suspendu in Fribourg bis heute immer von Drahtseil-Hängebrücken gehalten. Zumindest fast, denn eine Ausnahme ist die Zeit von 1890-1929, in der zwei Auslegerbrücken den Rekord hielten. Diese Zeit markiert in der ganzen Welt den Höhepunkt der Expansion von Eisenbahnlinien, die auch immer größere Brücken notwendig machten. Nach einigen Misserfolgen hielt man Hängebrücken aber wegen ihrer verformbaren leichten Konstruktion für ungeeignet, um den Belastungen aus der schweren und dynamischen Last der Eisenbahnen zu widerstehen. Die einzige Alternative für große Spannweiten schienen damals die wuchtigen und teilweise monströsen Auslegerbrücken zu sein. Das Blatt wendete sich erst wieder mit dem Aufkommen eines neuen Massenverkehrsmittels, dem Automobil. Kraftfahrzeuge sind wesentlich leichter als Eisenbahnzüge und benötigen daher nicht so große Tragfähigkeiten der Brücken.

Rheinbrücke Emmerich
Die größte deutsche Hängebrücke: die Rheinbrücke zwischen Kleve und Emmerich. bei der
Ausschreibung dieser Brücke im Jahr 1961 hatten Fritz Leonhardt und Gerd Lohmer
einen innovativen Sondervorschlag eingereicht, der eine Monokabelhängebrücke
vorsah. Er wurde jedoch als zu "zu neuartig" abgelehnt.

Eine moderne Hängebrücke besteht in der Regel aus zwei Pylonen, den beiden Hauptkabeln, senkrechten Hängekabeln, an denen die Fahrbahn aufgehängt ist, und vier massiven Ankerblöcken, in denen die Kabelenden befestigt werden. Damit ist eine "echte" Hängebrücke in ihren wesentlichen Teilen beschrieben. Daneben gibt es aber auch noch selbstverankerte oder "unechte" Hängebrücken, bei denen die Ankerblöcke fehlen. Die Rückverankerung der Kabel erfolgt dann durch Befestigung an den Fahrbahnrändern hinter den Pylonen. Eine der letzten noch bestehenden unechten Hängebrücken Deutschlands ist die Rheinbrücke in Krefeld-Uerdingen aus dem Jahre 1936. Gegen Ende des zweiten Weltkrieges fiel sie einer Sprengung der Wehrmacht zum Opfer, wurde jedoch originalgetreu wieder aufgebaut.

Die längste (echte) Hängebrücke Deutschlands führt in der Nähe der holländischen Grenze zwischen Kleve und Emmerich über den Rhein. Mit einer Spannweite von 500 m und Pylonhöhen von ca. 77 m nimmt sie sich im Vergleich mit den größten Brücken der Welt zwar recht bescheiden aus, wirkt aus der Nähe betrachtet aber doch sehr imposant. Sie wurde 1965 eröffnet und hat eine Gesamtlänge von 1.224 m. Der Abstand zwischen Fahrbahn und der Oberfläche des Rheins beträgt bei normalem Wasserstand ca. 22 m.

Quellen: Interne Links:
  • Thomas Pope: "A Treatise on Bridge Architecture" [New York 1811]
  • C.F.W. Berg: "Der Bau der Hängebrücken aus Eisendraht" [Leipzig 1824]
  • Johann F.W. Dietlein: "Auszug aus Naviers Abhandlung über die Hängebrücken" [Berlin 1825]
  • James Drewry: "A Memoir of Suspension Bridges" [London 1832]
  • Ernst Werner: "Die ersten Ketten- und Drahtseilbrücken" [Düsseldorf 1973]
  • Hans Wittfoht: "Triumph der Spannweiten" [Düsseldorf 1972]
  • Hans Pottgießer: "Eisenbahnbrücken aus zwei Jahrhunderten" [Basel 1985].
  • Charlotte Jurecka: "Brücken - Historische Entwicklung, Faszination der Technik" [Wien 1986].
  • Tom F. Peters: "Transitions in Engineering - Guillaume Henri Dufour and the Early 19th Century Cable Suspension Bridges" [Basel 1987]
  • Fritz Leonhardt: "Brücken - Ästhetik und Gestaltung" [Stuttgart 1994]
  • Hans Straub: "Die Geschichte des Bauingenieurskunst"; 4. Auflage [Basel 1996]
  • Klaus Stiglat: "Brücken am Weg - Frühe Brücken aus Eisen und Beton in Deutschland und Frankreich" [Berlin 1997]
  • Dirk Bühler: "Brückenbau". [Deutsches Museum München 2000]
  • Joachim Scheer: "Versagen von Bauwerken. Band 1: Brücken" [Berlin 2000]
  • Richard J. Dietrich: "Faszination Brücken - Baukunst, Technik, Geschichte" [München 2001]
  • Sven Ewert: "Brücken. Die Entwicklung der Spannweiten und Systeme" [Berlin 2003]
  • Björn Akesson: "Understanding Bridge Collapses" [London 2008]
  • Karl-Eugen Kurrer: "Geschichte der Baustatik - Auf der Suche nach dem Gleichgewicht"
    [Berlin 2. Auflage 2016]
  • structurae.de

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