Pontcysyllte-Aquädukt

Trevor (Wrexham), Wales


Der Pontcysyllte-Aquädukt über dem Tal des Dee

Der Pontcysyllte-Aquädukt in Nordwales ist ein Relikt aus der Zeit vor der Verbreitung der Eisenbahn, als für den kostengünstigen Transport von Gütern und Rohstoffen im Prinzip nur der Wasserweg zur Verfügung stand.


Die Industrialsierung verlangt neue Beförderungsmittel

Als der Kanal geplant wurde, wären die einzigen Alternativen Pferdefuhrwerke oder Ochsenkarren gewesen, die sich jedoch auf den damals kaum ausgebauten Straßen nur mühsam vorwärts bewegen konnten.

Der größte Innovationsdruck ging dabei von der Industrialisierung selbst aus, denn sowohl für die Eisenerzeugung als auch für die vielen Dampfmaschinen wurden nun überall im Land große Mengen Rohstoffe und Energieträger, vor allem natürlich Kohle, benötigt. Diese stand aber nicht überall gleichmäßig zur Verfügung, sondern musste teilweise aus großen Entfernungen herangeschafft werden.

Angeregt durch eine Frankreichreise und die Besichtigung des Canal du Midi, ließ der Dritte Duke of Bridgewater 1757 einen Kanal von seinen Kohleminen in Worsley bis zum schiffbaren Irvell bauen. Dadurch gelang es ihm einen durchgehenden Wasserweg bis nach Manchester herzustellen. Ein paar Jahre später ließ er seinen 'Bridgewater Canal' auch mit dem Mersey verbinden und konnte seine Boote nun sogar bis Liverpool durchfahren lassen. Die Folge davon war, dass er seine Kohle in den wichtigsten Wirtschaftszentren des Landes viel billiger anbieten konnte als seine Konkurrenten und trotzdem noch mehr daran verdiente.


Das Zeitalter der Kanalschifffahrt

Das Beispiel Bridgewaters fand schnell Nachahmer und führte in den folgenden Jahrzehnten zu einer wahren Kanalbauhysterie in Großbritannien. Investoren sahen im Kanalbau eine Chance auf gute Gewinne, wodurch die Gründung von Kanalbaugesellschaften auf Aktienbasis gefördert wurde. Innerhalb weniger Jahre wurden in Großbritannien mehrere Hundert Kilometer neuer Kanäle gebaut. Dabei waren von den Ingenieuren teilweise ganz neuartige technische Probleme zu lösen.

Höhenunterschiede lassen sich bei Wasserstraßen nur durch Schleusen überwinden, deren grundsätzliche Technik in Europa etwa seit dem 14. Jhd. bekannt war (in China allerdings noch bedeutend früher). Schiffshebeanlagen sind bautechnisch aber sehr aufwändig und kosten auch im laufenden Betrieb viel Geld und noch mehr Zeit.

Also vermied man in Großbritannien Schleusen nach Möglichkeit und versuchte den Wasserfluss im natürlichen Gefälle zu bewerkstelligen. Dadurch war der höhenmäßige Verlauf eines Kanals natürlich in sehr engen Grenzen festgelegt, was viele Brücken- aber auch Tunnelbauwerke erforderlich machte. Um den bautechnischen Aufwand zu reduzieren, konzipierte man einige Kanäle daher für besonders schmale Schiffe, die sogenannten "Narrowboats", die zudem nur über geringen Tiefgang verfügten.

Der Transport der Waren und Rohstoffe in Fließrichtung war damit mühelos möglich, nicht aber die "Bergfahrt", bei der die Boote geschleppt werden mussten. Überall wo die örtlichen Verhältnisse es zuließen, wurde diese schwere Arbeit von Pferden oder Ochsen verrichtet, gelegentlich aber auch durch die menschliche Muskelkraft. Diesen Vorgang nannte man in Deutschland "Treideln", "Halfern" oder "Bomätschen".


Der Ellesmerekanal

Auf dem Höhepunkt des Kanalbooms erlaubte das britische Parlament im Jahr 1793 der Kanalgesellschaft eine Verbindung zwischen den Flüssen Mersey (bei Netherpool) und Dee (bei Chester) herzustellen. Später wurde der Kanal auch zum Flusssystem des Severn hin erweitert. Die Stadt Ellesmere, die am Schnittpunkt dieser Wasserstraßen lag, gab dem Kanalsystem schließlich seinen Namen.

Querschnitt und Ansicht der gusseisernen Kanalrinne.
Der Querschnitt zeigt auch den Treidelweg, unter dem ebenfalls Wasser fließt.

Von den vielen natürlichen Hindernissen die der Kanal zu überwinden hatte, gehörte das Tal des Dee bei Frontcysyllte zu den größten technischen Herausforderungen. Mit dieser speziellen Aufgabe wurde der damals eher noch unbekannte schottische Ingenieur Thomas Telford beauftragt. Er arbeitete in Llangollen aber eng mit dem erfahrener Kanalbauer William Jessop aus Devonport zusammen, der die Oberaufsicht über das Gesamtprojekt hatte. Jessop war 12 Jahre älter als Telford und hatte unter anderem schon mit dem berühmten Leuchtturmbauer John Smeaton zusammengearbeitet. Er hatte sich persönlich dafür eingesetzt, dass der junge Telford den Auftrag für den Pontcysyllte-Aquädukt erhielt.

Um das gleichmäßige Gefälle im Gerinne des Aquäduktes zu gewährleisten, sollte dessen Wasserspiegel immerhin etwa 40 Meter über dem Dee verlaufen. Vor dem Bau der ersten Eisenbahnlinien waren derartige Höhen bei Brücken nur selten verwirklicht worden. Auch die Länge des Aquäduktes, die sich vor allem durch die Breite des Tals ergab, war mit 307 Metern für die damalige Zeit enorm und machte insgesamt ein beeindruckendes Bauwerk erforderlich. Um trotz der großen Höhe allzu kräftige und dadurch plump wirkende Pfeiler zu vermeiden, spielte das Gewicht der Konstruktion eine bedeutende Rolle. Diese Bedingung und die bessere Dichtigkeit führten unter anderem dazu, dass Telford den Überbau nicht aus Stein herstellte, sondern aus Gusseisen.

Mit dieser Konstruktionsweise hatte Telford bereits 1796 beim Aquädukt in Longdon-on-Tern im Zuge des Shrewsbury-Kanals experimentiert. Dieses wesentlich kleinere und vor allem viel niedrigere Bauwerk wirkt aus heutiger Sicht wie eine Art Vorstudie zum Pontcysyllte-Projekt. Telford beschäftigte sich als erster mit der Verwendung von Gusseisen für den Kanalbrückenbau. Die erste Gusseisenbrücke für den Straßenverkehr war 1779 im englischen Coalbrookdale vollendet worden.


Der Bau des Pontcysyllte-Aquäduktes

Die Bauarbeiten bei Llangollan begannen mit der Grundsteinlegung im Juli 1795 und sollten insgesamt 10 Jahre in Anspruch nehmen. Insgesamt waren zwischen den beiden Widerlagern 18 Pfeiler herzustellen, die bis zu 35 m hoch sein mussten und Spannweiten von knapp 14 m benötigten. Dank des anstehenden Felsens bereitete die Gründung der Pfeiler keinerlei Schwierigkeiten und erfolgte ohne Pfahlroste oder dergleichen. Um der ganzen Brücke einen niedrigeren Schwerpunkt zu geben, ließ Telford die Pfeiler nur bis zu einer Höhe von 21,3 m in massiver Bauweise errichten. Die oberen Abschnitte der Pfeiler sind hohl und nur durch Zwischenwände verstärkt. Nach einer gerne wiederholten Geschichte wurde dem Mörtel für die Pfeiler neben Kalk und Wasser auch Ochsenblut beigemischt.

Das Gusseisen für die Kanalrinne lieferte der Unternehmer William Hazeldine aus Shrewsbury in Nordengland, der zu den führenden Eisenherstellern des Landes zählte und mit dem Telford auch privat befreundet war. Der Kanaltrog besteht aus vernieteten Gusseisenplatten, deren Falz mit Wachstuch, Blei und einer Zuckerlösung wasserdicht gemacht wurden. Der deutsche Ingenieur Carl Friedrich Wiebeking besuchte das Bauwerk etwa 10 Jahre nach seiner Vollendung und berichtet in einer Veröffentlichung: "Die auf die oben beschriebene Weise miteinander verbundenen Boden- und Seitenplatten halten auf das Genaueste und Vollkommenste das Wasser, wovon ich mich bey meiner Besichtigung dieser Brück-Wasserleitung im Monat September 1815 überzeugte, da ich unter keinem der Bogen auch nur das geringste Durchsickern […] bemerken konnte". Die Kanalrinne ist auch heute, über 200 Jahre nach ihrer Herstellung, immer noch dicht.

Das wasserführende Gerinne ist 3,61 m breit und hat eine Wassertiefe von 1,60 m. Bei 307 m Länge befinden sich im Normalfall also etwa 1.770 m³ Wasser in dem Brückentrog, was einem Gewicht von knapp 1,8 Million kg entspricht. Der Eisentrog ist auf seiner gesamten Breite mit Wasser gefüllt, also auch unterhalb des einseitigen Treidelweges, auf dem die Boote mittels Pferdekraft stromaufwärts gezogen wurden. Der größere Abstand zu den Seitenwänden sollte den Reibungswiederstand der Boote im Wasser verringern. Das Wasser für den Kanal wird übrigens aus dem Dee in ein Speicherbecken bei Froncysyllte gepumpt. Alle fünf Jahre wird das Wasser in einer spektakulären Aktion über ein Ventil aus dem Gerinne in den Dee abgelassen, um die Dichtheit des Kanals und den baulichen Zustand des Gusseisens zu überprüfen.

Knapp 40 Meter über dem Dee

Der Kanal besteht aus einem durchgehenden U-förmigen Träger aus Gusseisen, der punktuell auf den Pfeilern gelagert ist. Wie ein Blick auf die Unterseite des Trägers verdeutlicht, wird das Gerinne zwischen den Pfeilern allerdings jeweils von vier bogenförmigen Rippen unterstützt. Fälschlicherweise wurden die Bögen in manchen Veröffentlichungen als eine Art Verblendung beschrieben, die keine statische Funktion hätte, sondern dem Betrachter nur eine Bogenbrücke vortäuschen solle, um ihm ein größeres Gefühl von Stabilität und Sicherheit zu geben.


Der Krieg mit Frankreich verzögert den Bau

Schon wenige Monate nach dem Beginn der Bauarbeiten am Pontcysyllte-Aquädukt brach in Frankreich die folgenreiche Revolution aus, in deren späterem Verlauf Großbritannien von Frankreich der Krieg erklärt wurde. Die kostspieligen Kriegsvorbereitungen und die wirtschaftliche Unsicherheit der nächsten Jahre führten dazu, dass die meisten Kanalbauprojekte für mehrere Jahre unterbrochen wurden oder nur noch mit gebremster Geschwindigkeit fortgeführt werden konnten. Der Pontcysyllte-Aquädukt konnte dadurch erst 1805 vollendet werden und das Gesamtprojekt, der Ellesmerekanal, wurde niemals im geplanten Umfang in Betrieb genommen.

Als sich das Land einige Jahre später wirtschaftlich erholt hatte und zeitgleich mit der Eisenbahn ein ganz neues, wesentlich schnelleres und dazu auch noch leistungsfähigeres Verkehrs- und Transportmittel aufkam, wurden die Kanäle nicht mehr weiter ausgebaut. Stattdessen brach ein neuer Boom aus und man begann im ganzen Land mit dem flächendeckenden Ausbau des Schienennetzes. Diese Entwicklung sollte nur wenig später auf Europa und schließlich auf die ganze Welt überspringen. Allerdings wurden die Kanäle vorerst noch weiter benötigt, zumal auch für den Bau von Eisenbahnlinien Baustoffe und Werkzeuge transportiert werden mussten.

Dass es einen großen Teil des damaligen Kanalsystems heute noch gibt, ist vor allem der britischen Eigenheit zu verdanken, sich Traditionen zu bewahren und gerade auch historische Bauwerke oder technische Errungenschaften liebevoll zu erhalten. So dient der Pontcysyllte-Aquädukt heute als Teil des noch vorhandenen Kanalsystems dem regen Freizeitverkehr der inzwischen motoriesierten Touristenboote und Privatschiffe. Die Fahrt über das Aquädukt auf dem ruhig dahinfließenden Wasser und der freie Blick in die Tiefe, sind dabei natürlich die Höhepunkte jeder Bootstour.

Quellen:
  • Samuel Smiles: "Life of Thomas Telford"
  • Carl Friedrich von Wiebeking: "Theoretisch-practische Wasserbaukunst, Band IV" (1815)
  • http://www.llangollen.org.uk
  • David J. Brown: "Brücken - Kühne Konstruktionen über Flüsse, Täler, Meere"
  • http://wikipedia.de
  • u.a.


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© Dipl.Ing. Bernd Nebel